«Wir haben das grosse Glück, mit einer herausragenden archäologischen Grabung arbeiten zu dürfen.»
Vier Fragen an Christiane Twiehaus
Die mittelalterliche und antike jüdische Geschichte wird unter anderem durch archäologische Funde geschrieben. In Basel wurden Grabsteine aus dem 13. und 14. Jahrhundert beim Bau des Kollegienhauses der Universität Basel 1937 entdeckt; sie sind seit 1966 im Museumshof ausgestellt – der älteste wird dieses Jahr 800 Jahre alt. In Köln wird demnächst ein aufgedecktes jüdisches Quartier als Museum eröffnet. Es ist das langersehnte Ausstellungsprojekt zum jüdischen Leben im Mittelalter. Dr. Christiane Twiehaus vom «MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln» sprach mit Dr. Naomi Lubrich über ihre Forschung, über das Leben der Jüdinnen und Juden am Rhein und über die Verbindungen zwischen Köln und Basel.
Naomi Lubrich: Liebe Christiane, auf das «MiQua» sind wir alle sehr gespannt. Was ist der Stand der Arbeit?
Christiane Twiehaus: Wir sind mittendrin! Neben den Vorbereitungen für die zukünftige Dauerausstellung und den dazugehörenden Forschungen auf archäologischer, judaistischer und historischer Ebene läuft parallel der Bau des Museums. Hierfür richten wir auf einer Fläche von rund 6500 qm Archäologie ein Rundgang durch 2000 Jahre Stadtgeschichte ein. Neben den in Köln so allgegenwärtigen römischen Befunden bestand hier auch, nämlich «darüber», das mittelalterliche jüdische Viertel.
NL: Als Judaistin hast Du zahlreiche Dokumente erschlossen. Was sagen sie über das Alltagsleben der Jüdinnen und Juden in Köln?
CT: Für die Darstellung der jüdischen Geschichte und Kultur suche ich hebräische Schriftquellen aus dem Mittelalter, die uns aus einer innerjüdischen Perspektive über das Leben im Kölner Viertel berichten. Würden wir dies nur mit den städtischen und christlichen Quellen machen, wäre die Erzählung sehr einseitig und würde sich wohl auf eine Aneinanderreihung von Schutz- und Schuldbriefen beschränken. Durch die hebräischen Schriften wissen wir etwa von spezifischen Speiseregeln, der Installation eines Eruvs (Abgrenzung eines jüdischen Wohngebiets) oder lokalen Traditionen in der Synagoge. Aber auch ganz Alltägliches ist überliefert, wie etwa folgende Rechtsfrage: Ein Huhn fällt von einer Mauer. Ist es noch koscher? Denn das Huhn könnte innere Verletzungen haben. Und einer der Rabbinen entscheidet sehr pragmatisch, dass man sich keine Sorgen zu machen brauche.
NL: Es gab eine jüdische Gemeinde in Basel seit dem 12. Jahrhundert. Welche Kontakte bestanden nach Köln, wie verbunden waren sich die Gemeinden entlang des Rheins?
CT: Das ist eine spannende Frage! Und sie erinnert mich an die erste grosse Ausstellung nach der Schoa zu jüdischer Geschichte und Kultur am Rhein, die «Monumenta Judaica» hier in Köln 1963 und 1964, in der auch wichtige Judaica aus Basel vertreten waren. Der Rhein war schon immer Handelsweg, Kultur- und Lebensader. Daher haben hier enge Verbindungen zwischen den Gemeinden bestanden, etwa in die SchUM-Städte, nach Speyer, Worms und Mainz. Durch die gute Überlieferung zu Einzelpersonen wissen wir beispielsweise auch von Salman von Basel. Aus Köln stammend hat er etwa ab 1284 in Basel gelebt, verliess ein paar Jahre später wieder die Stadt, um mit Station in Mainz nach Köln zurückzukehren. Hier war er Mitglied im sogenannten Judenrat. Er war wohl eine illustre Gestalt mit hohen Ämtern und mehreren Häusern im jüdischen Viertel. Durch sein Testament kennen wir auch etwas von der Ausstattung der Häuser.
NL: Welche Frage wird Euer Museumsprojekt in Zukunft am meisten beschäftigen?
CT: Wir haben das grosse Glück, mit einer herausragenden archäologischen Grabung arbeiten zu dürfen. Neben den Fragen zu «Was ist typisch kölsch?» etwa in Liturgie oder Halacha geht es auch um die Frage nach dem ganz normalen Alltag: In welchen Berufen waren Juden und Jüdinnen tätig, wie war der Austausch mit der christlichen Bevölkerung, wo waren Kontakträume, wie war das Zusammenleben auf allen Ebenen, was können uns dazu die archäologischen Funde mitteilen. Wir möchten deutlich machen, dass das jüdische Leben integraler Bestandteil Kölns war und keine Welt für sich.
NL: Liebe Christiane, wir sind gespannt! Vielen Dank für den Einblick in Deine Arbeit.
verfasst am 09.09.2022
© Grafik: Marva Gradwohl
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