Jüdisch im Weltraum
Sechs Fragen an Lena Kugler
Zu Gast an der Museumsnacht 2022 war PD Dr. Lena Kugler, Literaturwissenschaftlerin, Kulturwissenschaftlerin und Autorin aus Konstanz und Berlin. Nach ihrem Vortrag «Jüdisch im Weltraum. Geschichte/n der extraterrestrischen Diaspora» sprach sie mit Naomi Lubrich über jüdische Science Fiction, vergessene Autoren und den vulkanischen Gruss.
NL: Liebe Lena, von allen jüdischen Science Fictions – und Du kennst viele! – hast Du ausgerechnet den vergessenen Roman von Martin Salomonski als Forschungsthema gewählt. Warum?
LK: Martin Salomonskis Text Zwei im andren Land ist sowohl in zeitlicher als auch räumlicher Hinsicht bemerkenswert, denn zum einen erschien er bereits wenige Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler als Fortsetzungsroman in der Berliner Jüdisch-liberalen Zeitung, bevor er 1934 als eigenständiges Buch publiziert wurde. Zum anderen erzählt er davon, dass es in der Zukunft, nämlich im Jahr 1953, kaum mehr Juden in Berlin, auf dem Mond dagegen eine jahrtausendealte Population jüdischer Flüchtlinge gibt. 2021 wurde dieser viel zu lange vergessene Roman von Alexander Fromm neu herausgegeben.
NL: Ist es sofort klar, dass die gedankliche Vorlage des Romans der Zionismus ist?
LK: Aus der Perspektive des Mondes verschieben sich Vorstellungen von Zerstreuung und Heimat, von diasporischen und (quasi-)zionistische Konzeptionen. Dass es im Roman auch und gerade um den Zionismus und die verschiedenen jüdischen Territorialisierungsprojekte geht – und zwar gewissermaßen in galaktischem Maßstab – wird dabei tatsächlich schnell klar. Der Roman wurde damals sogar damit beworben, ein «Zukunftsroman über die Lösung der Judenfrage» zu sein, und auch im Text selbst ist explizit von der sogenannten «Judenfrage» die Rede.
NL: Salomonski war ein Autor, aber er war auch ein ausgebildeter Reformrabbiner. Merkt man das mit Blick auf sein Thema?
LK: Wenn man so will, ist das eigentliche Thema des Romans der Mond. Und der Mond ist tatsächlich im Judentum vor allem in zeitlicher Hinsicht ein wichtiger Planet – der jüdische Kalender ist ein Lunisolarkalender und die Befolgung der unterschiedlichen Feiertage und Gebete ist abhängig vom Wissen um seinen jeweiligen Stand. Salomonski geht es aber vor allem in räumlicher Hinsicht um den Mond, und zwar als Flucht- und Heimstätte der verfolgten und womöglich sogar der gesamten Weltjudenheit.
NL: Der Antisemitismus war der Auslöser, über einen jüdischen Staat nachzudenken. Dazu erwiderte Hannah Arendt berühmterweise: «Vor Antisemitismus ist man aber nur noch auf dem Monde sicher». Du verortest ihre Aussage in einem Diskurs. Was war der?
LK: Hannah Arendts Artikel aus dem Jahr 1941 drehte sich insbesondere um die Notwendigkeit einer eigenen jüdischen Kampftruppe gegen Hitler. Doch schon vor ihr, und zwar im Rahmen des sogenannten Territorialismus (womit die verschiedenen und immer wieder gescheiterten Versuche aufgerufen sind, auch außerhalb Palästinas eine jüdische Heimstätte zu finden), war immer wieder vom Mond die Rede. Francis Montefiores Bemerkung, ein politisch jungfräuliches Territorium könne wohl nur auf dem Mond gefunden werden, konterte jedenfalls schon Israel Zangwill ( den es übrigens auch wiederzuentdecken gilt!) mit dem Einwand: «Not even there, I fear. For there is a man in the moon, and he is probably an Anti-Semite.»
NL: Welche jüdische Science Fictions gibt es noch?
LK: Sehr-sehr viele! Zum Beispiel endet Mel Brooks History of the World, Part I – bereits kurz nach seinem Erscheinen zum schlechtesten Film des Jahres 1981 nominiert – mit einer kurzen Trailer-Vorschau des nie geplanten zweiten Teils, in der neben einem Wikingerbegräbnis und einem eislaufenden Adolf Hitler auch ein Ausblick auf Jews in Space gezeigt wird. Unterlegt von dramatischer Musik ist eine Flotte davidsternförmiger Raumschiffe zu sehen, die durch den Weltraum kreuzen und einem feindlichen Angriff knapp entkommen. Und eine Anthologie israelischer «Zion’s Fiction» zeigt schon auf ihrem Cover den prominentesten Mitbegründer des politischen Zionismus, Theodor Herzl, und zwar mit Vulkanier-Ohren und im Raumanzug, wie er sich über die Steuerkonsole eines Raumschiffs lehnt und ernst auf den vorbeifliegenden Erdball blickt.
NL: Was wäre der wichtigste jüdische Beitrag zum Weltraum in der Popkultur?
LK: Das wäre mit Sicherheit der Segen der Cohanim, mit dem in der Serie Star Trek die Vulkanier ihr Gegenüber zu grüssen pflegen.
NL: Vielen Dank, Lena Kugler. May the force be with you!
verfasst am 12.08.2022
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