«Es gibt keine einheitliche Definition des Jüdischen.»

Vier Fragen an
Darja Pisetzki

Dar­ja Alex­an­dra Pisetz­ki beob­ach­te­te meh­re­re Jah­re lang die Ent­wick­lung Jüdi­scher Muse­en und Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen im ale­man­ni­schen Sprach­raum und pro­mo­vier­te 2021 über deren Selbst­dar­stel­lun­gen ver­sus Fremd­zu­schrei­bun­gen des Jüdi­schen. Nun ist ihr Buch erschie­nen. Nao­mi Lubrich sprach mit der Autorin über ein For­schungs­the­ma, das über die Lan­des­gren­zen in die Dorf­ge­schich­te führt.

 Nao­mi Lubrich: Lie­be Dar­ja, Du hast in Dei­nem soeben erschie­ne­nen Buch ale­man­ni­sche Jüdi­sche Muse­en und Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen unter­sucht. Wie kamst Du auf die­ses Forschungsthema?

Dar­ja Pisetz­ki: Bereits wäh­rend mei­nes Mas­ter­stu­di­ums fand ich den Unter­schied zwi­schen Selbst­dar­stel­lun­gen und Fremd­zu­schrei­bung in Prä­sen­ta­tio­nen des Juden­tums (bezie­hungs­wei­se des Jüdi­schen) inter­es­sant. Ich wid­me­te daher mei­ne Mas­ter­ar­beit der Ent­ste­hungs­ge­schich­te Jüdi­scher Muse­en in Deutsch­land nach 1945 und ins­be­son­de­re dem Jüdi­schen Muse­um Ber­lin. Dem Jüdi­schen Muse­um Ber­lin wur­de vor­ge­wor­fen, an der Dau­er­aus­stel­lung im Jahr 2001 die Ber­li­ner Jüdi­sche Gemein­de nicht invol­viert zu haben, also eine Sicht auf das Juden­tum als das «Ande­re» anstatt als das «Eige­ne» vor­ge­stellt zu haben. Nach mei­nem Mas­ter­ab­schluss woll­te ich mich tie­fer­ge­hen­der mit die­sem The­ma beschäf­ti­gen. Mich hat es beson­ders inter­es­siert, wie und aus wel­cher Per­spek­ti­ve in ande­ren Län­dern «das Jüdi­sche» prä­sen­tiert und ver­mit­telt wird.

NL: Was ist am ale­man­ni­schen Sprach­raum besonders?

DP: Der über­wie­gen­de Teil der ale­man­ni­schen Juden leb­te im 18. und zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts in Dör­fern und Klein­städ­ten. Trotz der Weit­läu­fig­keit des ale­man­ni­schen Sprach­raums und der poli­ti­schen Gren­zen waren Jüdin­nen und Juden in die­sem Kul­tur­raum durch die Ähn­lich­keit der Spra­che, der reli­giö­sen Pra­xis und ihrer Berufs­tä­tig­kei­ten ver­eint. Die Jüdi­schen Muse­en in die­sem Kul­tur­raum erzäh­len von den Lebens­um­stän­den, den Ver­bin­dun­gen zwi­schen den ein­zel­nen Gemein­den und kul­tu­rel­len sowie reli­giö­sen Gepflo­gen­hei­ten des ale­man­ni­schen Juden­tums, das oft­mals als «Dorf­ju­den­tum» bezeich­net wird.

NL: Was Jüdi­sche Muse­en als «das Jüdi­sche» prä­sen­tie­ren, ist je nach Muse­um unter­schied­lich. Was war Dei­ne über­ra­schends­te Erkenntnis?

DP: Das Über­ra­schends­te an den unter­schied­li­chen Prä­sen­ta­tio­nen und Ver­mitt­lungs­for­men des «Jüdi­schen» war für mich, dass es kei­ne ein­heit­li­che Defi­ni­ti­on des­sen gibt, was wir heu­te als Juden­tum bezie­hungs­wei­se das «Jüdi­sche» bezeich­nen. Durch mei­ne For­schung zu Jüdi­schen Muse­en und jüdi­schen Ver­mitt­lungs­pro­jek­ten hat sich mein Ver­ständ­nis «des Jüdi­schen» eher noch erwei­tert – von reli­giö­sen, eth­ni­schen, kul­tu­rel­len, his­to­ri­schen bis hin zu phi­lo­so­phi­schen Aspek­ten und Identitätsfragen.

NL: Jüdi­sche Muse­en, auch unsers, haben sich in den ver­gan­ge­nen zwan­zig Jah­ren stark ver­än­dert. Wie, glaubst Du, wer­den sie sich in den kom­men­den zwan­zig Jah­ren entwickeln?

DP: In einer Zeit, in der immer mehr Infor­ma­tio­nen und Wis­sen jeder Zeit und über­all abruf­bar ist, wer­den sich Muse­en künf­tig ver­mut­lich gera­de im Bereich der Prä­sen­ta­tio­nen und Ver­mitt­lung dahin­ge­hend ver­än­dern, dass sie immer mehr zu inter­ak­ti­ven Orten der wech­sel­sei­ti­gen Kom­mu­ni­ka­ti­on wer­den. Dies gilt eben­so für Jüdi­sche Muse­en. Es wird span­nend zu beob­ach­ten sein, wie Jüdi­sche Muse­en den Bogen zwi­schen his­to­ri­schen Aspek­ten und moder­nen Fra­gen span­nen und zugleich mit ihren Besucher:innen in Dia­log tre­ten. Ein span­nen­des Kon­zept hat hier zum Bei­spiel das Ver­mitt­lungs­pro­jekt «Dop­pel­tür» ent­wi­ckelt. His­to­ri­sche Inhal­te dar­über, wie das jüdi­sche Leben im Surb­tal aus­ge­se­hen haben könn­te, sol­len anhand von kur­zen Fil­men ver­mit­telt wer­den. Dabei kön­nen die Besucher:innen in meh­re­ren Abschnit­ten selbst ent­schei­den, wel­che Fra­gen – dar­un­ter zur Migra­ti­on, jüdi­scher Religion/Kultur und zum Zusam­men­le­ben von Juden:Jüdinnen und Christ:innen – sie beson­ders inter­es­sie­ren und wie die anhand von Film­ab­schnit­ten erzähl­te Geschich­te wei­ter­ge­hen soll.

NL: Lie­be Dar­ja, vie­len Dank für die­se Einblicke! 

verfasst am 16.09.2022