«Ein zurückhaltender Mensch, ein unbeirrter Künstler.»
Gisela Zürrer über Walter Haymann
Der Zürcher Künstler Walter Haymann schuf ein umfangreiches Werk, darunter Landschaften, Stillleben und einen Zyklus mit Impressionen aus der Synagoge in der Löwenstrasse. Die Synagogenbilder stellen das Judentum im Leben eines Mannes vor, dessen Familie einschneidende Ereignisse erlebte: die Gleichberechtigung der Juden in der Schweiz und die Schoa, die Gründung des Staates Israel und die Aufarbeitung der NS-Zeit. Museumsdirektorin Naomi Lubrich sprach mit Gisela Zürrer, Präsidentin der Walter Haymann-Stiftung, über einen Künstler, der posthum wiederentdeckt wird.
Naomi Lubrich: Liebe Frau Zürrer, wie erklären Sie, dass Walter Haymann, zu Lebzeiten wenig bekannt, auf neues Interesse stösst?
Gisela Zürrer: Walter Haymann (1926–2011) war ein zurückhaltender Mann. In seinen jungen Jahren suchte er noch die Nähe zu Künstlerkreisen, später lebte er zurückgezogen. Seine Bilder sind farbintensiv, vielleicht zu gefällig für seine Zeit, die von der Avantgarde geprägt war. Aber Haymann war in seinem Schaffen unbeirrt. Mit 83 Jahren entschied er, dass für seine über 3000 Werke ein Verbleib gefunden werden sollte. Er suchte Beratung bei Freunden und Fachpersonen, unter anderem auch bei Johannes Zürrer, seinem Schüler und Freund. 2010 gründete er eine Stiftung zur Sichtbarmachung seines Werks. Das brachte vieles in Fahrt.
NL: Welchen Anteil hat das Judentum an seiner Kunst?
GZ: Wir besitzen etwa einhundert Ansichten aus der Synagoge in der Löwenstrasse, Zürich. Das ist nur eine kleine Gruppe seines Werks, das ansonsten aus Landschaften und Stillleben besteht. Aber die Synagogen-Reihe ist aus künstlerischer Sicht interessant: Der Stil variiert, während die Perspektive immer dieselbe ist. Wir blicken auf das Geschehen aus dem «Off», aus den hinteren oder seitlichen Bänken. Ein Zyklus entstand bei der Hochzeit seines Cousins, Jacques Bollag, 1972.
NL: Welche Rolle spielte das Judentum in Haymanns Leben?
GZ: Walter Haymann war nicht praktizierend, er interessierte sich aber für Religion als Philosophie. Das Judentum prägte auch die Familiengeschichte: Haymanns mütterliche Linie führt bis ins 18. Jahrhundert zurück. Ihr Grossvater, Simon Weil, erhielt im Vorfeld der jüdischen Emanzipation das Kantonsbürgerrecht; ihr Vater Jakob Weil wurde erster jüdischer Oberleutnant. Zwei Generationen später wurde Walter Haymann Zeuge des Aufstiegs der Nationalsozialisten. Seine Familie, der ein grosses Haus gehörte, nahm Flüchtlinge auf, darunter Haymanns Cousin Heinz Laufer aus München. Heinz verbrachte zwei Jahre mit den Haymanns, bevor er von der Zürcher Polizei ausgewiesen wurde. Direkt an der Grenze wurde er verhaftet, deportiert und später im KZ Auschwitz ermordet. Eine andere Verlusterfahrung hatte Haymanns Leben bereits vorher geprägt, denn im Kindesalter war seine Schwester Trudi 14-jährig an der Grippe gestorben, während Haymann, der auch an der Grippe erkrankt war, überlebt hatte. Walters Ehefrau, Irene, war eine Holocaust-Überlebende aus Polen. Das Überleben war zweifellos für beide ein grosses Thema.
NL: Welche weiteren jüdischen Sujets interessierten Walter Haymann?
GZ: Haymann reiste gerne, unter anderem nach Israel. Er malte die Altstadt Jerusalems sowie eine Kibbutz-Landschaft. Haymann malte auch die jüdische Schweiz, etwa den Friedhof zwischen Endingen und Lengnau Und er zeichnete Illustrationen und Bilder zu jüdischen Schriften.
NL: Wie geht es weiter mit der Aufarbeitung von Haymanns Erbe?
GZ: Zusammen mit anderen im Kreis der Walter Haymann-Stiftung arbeite ich seit 2021 an einem online-Werkverzeichnis. Wir erschliessen seine Familiengeschichte, zeigen Ausstellungen mit seinen Werken und arbeiten an der Umsetzung von weiteren Stiftungszielen. Es gibt viel zu tun!
NL: Vielen Dank, liebe Frau Zürrer, für die grosse Arbeit, die Sie leisten.
verfasst am 03.01.2024
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