Portrait von Raphael Selig
Portrait von Raphael Selig

Raphael Selig vor seinem Geschäft in Basel

Raphael Selig in seinem Antiquitätenladen

«Antiquare hatten die Waren, die die Basler Museen suchten.»

Fünf Fragen an Raphael Selig

Rapha­el Selig ist Anti­quar und führt das Tra­di­ti­ons­haus Anti­qui­tés Ségal in Basel in sechs­ter Gene­ra­ti­on. Nao­mi Lubrich sprach mit ihm über die Bezie­hun­gen zwi­schen Kunst­han­del und Muse­en, über die Anfän­ge der Judai­ca in Basel und über den sich ver­än­dern­den Geschmack für alte Kostbarkeiten.

Nao­mi Lubrich: Lie­ber Rapha­el, Du führst das Anti­qua­ri­at Ségal in sechs­ter Gene­ra­ti­on. Wie ent­stand das Geschäft? 

Rapha­el Selig: Der Sage nach kam der Grün­der, Joseph Ségal, Anfang des 19. Jahr­hun­derts mit Napo­le­ons Sol­da­ten aus dem Elsass nach Basel. Er war ein Hau­sie­rer und han­del­te mit all­täg­li­chen Din­gen, wie Tep­pi­che und Bie­der­mei­er­mö­bel. Sein Geschäft währ­te jedoch nicht lan­ge; mit Napo­le­ons Nie­der­la­ge ende­te sei­ne Auf­ent­halts­be­wil­li­gung, wie für vie­le Juden. 1862, dank bes­se­rer Rechts­la­ge für Juden, liess sich sein Sohn Isaak mit sei­nem Enkel, Bert­hold, am Spa­len­berg nie­der. Bert­hold traf es gut: Er erleb­te den Muse­ums­grün­dungs-Boom. In Basel eröff­ne­ten das Muse­um für Völ­ker­kun­de (heu­te: Muse­um der Kul­tu­ren), das His­to­ri­sche Muse­um und in Zürich das Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­mu­se­um. Die Anti­qua­re hat­ten die Waren, die die Muse­en such­ten, vom Sil­ber­kelch bis zum Holz­löf­fel. Der Kura­tor des Muse­ums für Völ­ker­kun­de, Edu­ard Hoff­mann-Kray­er, kauf­te schät­zungs­wei­se um die 100 Objek­te bei Anti­qui­tés Ségal bin­nen zehn Jahren.

NL: Wel­che Rol­le spiel­te der Han­del mit Judaica?

RS: Für unser Haus fiel und fällt der Han­del mit Judai­ca finan­zi­ell nicht ins Gewicht. Glei­ches gilt für ande­re jüdi­sche Anti­qua­ri­ats­fa­mi­li­en. Denn es gab und gibt nur Weni­ge, die Judai­ca sam­meln. Bekann­te Aus­nah­men waren die Eph­rus­sis, die Roth­schilds und die Oppen­hei­mer. Aber das Juden­tum spielt durch­aus eine Rol­le in der Beschaf­fung: Jüdi­sche Händ­ler hat­ten ein wei­tes Netz­werk zu ande­ren jüdi­schen Händ­lern über Lan­des­gren­zen hin­weg. Ich sel­ber habe einen Part­ner in Lon­don. Das ist ein ent­schei­den­der Vor­teil für den Einkauf.

NL: Gewis­se Leu­te kauf­ten aber schon damals Judaica.

RS: Die­je­ni­gen, die die Gleich­be­rech­ti­gung 1866 erleb­ten, hat­ten erst­mals finan­zi­el­le Mit­tel und hol­ten nach, was ihren Vor­fah­ren ver­wehrt war, näm­lich der Erwerb schö­ner Wert­ge­gen­stän­de. Das begann 1870. Sie fer­tig­ten neue Ritu­al­ge­gen­stän­de an; so gab etwa die Israe­li­ti­sche Gemein­de gros­se, reprä­sen­ta­ti­ve Leuch­ter, Schrif­ten­rol­len und Kid­dusch-Becher in Auf­trag. Das waren wohl­ge­merkt Auf­trags­ar­bei­ten, nicht his­to­ri­sche Objek­te. Denn Judai­ca vor dem 19. Jahr­hun­dert sind äus­serst sel­ten. Vor allem in Ita­li­en gab es älte­re Objek­te, weil dort die jüdi­schen Gemein­den wohl­ha­ben­der waren und nicht so stark von will­kür­li­cher Aus­wei­sung betrof­fen wie die Gemein­den im deutsch­spra­chi­gen Raum.

NL: Hat sich der Geschmack verändert?

RS: Ja: Frü­her kauf­te die Kund­schaft attrak­ti­ve Objek­te. Heu­te möch­te sie Objek­te mit Geschich­te: Ein baro­ckes Prunk­ge­fäss bleibt durch­aus län­ger im Regal als ein Holz­löf­fel mit Emblem oder jüdi­scher Inschrift. Aber das ist nicht über­all gleich. In Frank­reich sind «aris­to­kra­ti­sche» Stü­cke wei­ter­hin sehr beliebt – im Land der vie­len Schlös­ser viel­leicht kei­ne Über­ra­schung. Es gibt neben den regio­na­len Unter­schie­den auch gene­ra­tio­nel­le. Unse­re häu­figs­ten Kun­den sind 60 Jah­re alt oder älter, die zwei­häu­figs­ten 40 Jah­re oder jün­ger, wäh­rend Kun­den zwi­schen 40 und 60 aus­blei­ben. Sie geben ihr Geld lie­ber anders, zum Bei­spiel für Feri­en, aus. Demo­gra­phisch sieht man auch einen Wan­del: In den 1960er Jah­ren kauf­ten gut­bür­ger­li­che, aber auch ein­fa­che Fami­li­en Anti­qui­tä­ten, letz­te­re oft auf Raten. Heu­te ist die Käu­fer­schaft eher wohl­ha­bend. Sie inves­tiert in Top-Objek­te mit Wertbeständigkeit.

NL: Gibt es Schnäpp­chen, Objek­te, deren Wert viel­leicht ver­kannt wird?

RS: Vie­les wird heu­te unter Wert gehan­delt. Möbel sind sehr güns­tig. Vie­le alte Tische und Kom­mo­den sind hand­werk­li­che Meis­ter­leis­tun­gen. Sie wer­den noch Hun­der­te Jah­re über­le­ben. Judai­ca im Bau­haus-Stil waren vor zwan­zig Jah­ren ein Geheim­tipp, sie sind aber schon im obe­ren Preis­seg­ment ange­kom­men. Aber Land­schafts­ge­mäl­de sind heu­te sehr güns­tig. Was frü­her für fünf­stel­li­ge Beträ­ge gehan­delt wur­de, geht heu­te für ein paar tau­send Fran­ken über den Tisch. Man mag sie lang­wei­lig fin­den, aber das kann sich mor­gen ändern!

NL: Lie­ber Rapha­el, dann schaue ich mir Bil­der von Land­schaf­ten nun genau­er an. Vie­len Dank für das Gespräch!

verfasst am 26.04.2023