Zeichnung der Synagoge in Biel

Dina Epelbaum in der Synagoge Biel, gezeichnet von Marva Gradwohl

«Biel war eine sozialistische, migrantische Arbeiterstadt.»

Dina Epelbaum über die Jüdische Gemeinde Biel

2022 erhielt das Jüdi­sche Muse­um der Schweiz einen Teil­nach­lass der Syn­ago­ge in Biel/Bienne, dar­un­ter Ritu­al-Tex­ti­li­en, Hüte sowie eine Bunt­glas­fens­ter-Rosette, die der Licht­fang des klei­nen Rau­mes war. Die gebür­ti­ge Bie­le­rin Dina Epel­baum, heu­te Kura­to­rin der Kunst­samm­lun­gen Basel­land, erzählt von der Syn­ago­ge ihrer Kind­heit, vom Leben der ost­eu­ro­päi­schen Ein­wan­de­rer und von der Kunst, Objek­te zusam­men mit ihren Geschich­ten zu bewahren.

Nao­mi Lubrich: Lie­be Dina, erkennst Du die­se Buntglasfenster-Rosette? 

Dina Epel­baum: Selbst­ver­ständ­lich! Sie war die Licht­quel­le über dem Tora­schrein der Syn­ago­ge in Biel. Sie war ein ein­drück­li­cher Teil mei­ner Kind­heit. Wenn wir die Syn­ago­ge besuch­ten, schau­te ich ger­ne auf die Rosette, wenn mei­ne Gedan­ken vom Got­tes­dienst abschweif­ten. Das Foto die­ses fei­nen Bunt­gla­ses mit dem flo­ra­len Orna­ment ver­setzt mich in die 1970er und 1980er Jah­re. Ich sehe die mit Men­schen gefüll­te Syn­ago­ge, höre die Gesän­ge und rie­che den eigen­tüm­li­chen Duft des klei­nen Gotteshauses.

NL: Als Kura­to­rin liest Du Objek­te als Zeug­nis­se ihrer Zeit. Was sagen sie Dir über die dama­li­ge Zeit? 

DE: Die Objek­te stam­men aus einer klei­nen, aber pul­sie­ren­den Gemein­de. Die Syn­ago­ge wur­de Ende des 19. Jahr­hun­derts im soge­nann­ten «mau­ri­schen Stil» erbaut. Das Haus war klein, aber geschmack­voll ein­ge­rich­tet und gut instand­ge­hal­ten. Durch den Auf­schwung der Uhren­in­dus­trie kamen vie­le Jüdin­nen und Juden nach Biel. Neben soge­nann­ten «West­ju­den» aus dem Elsass, sie­del­ten sich in Biel auch «Ost­ju­den», jüdi­sche Men­schen aus Ost­eu­ro­pa, an, dar­un­ter anfangs der 1930er-Jah­ren mein Gross­va­ter aus der heu­ti­gen Ukrai­ne. Ihnen begeg­ne­te man mit etwas Skep­sis, weil sie mit­tel­los, oft reli­gi­ös und zio­nis­tisch geprägt waren. In Biel tra­fen sie es gut: Ab 1921 hiess der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Stadt­prä­si­dent Gui­do Mül­ler Zuge­wan­der­te in Biel will­kom­men und sorg­te für güns­ti­ge und moder­ne Wohn­mög­lich­kei­ten. Biel war damals eine sozia­lis­ti­sche, migran­ti­sche Arbeiterstadt.

NL: Als Kura­to­rin enga­gierst Du Dich für ein gesamt­heit­li­ches Sam­meln. Du suchst neben Objek­ten auch deren Geschich­ten. Wie gehst Du vor? 

DE: Objek­te wer­den erst durch ihre Geschich­ten leben­dig. Daher soll­te man so vie­le Infor­ma­tio­nen wie mög­lich zeit­nah auf­zeich­nen, denn spä­ter lässt sich das oft nicht mehr nach­ho­len. Zunächst wür­de ich mit Zeit­zeu­gin­nen spre­chen. In Biel sind es nicht mehr vie­le, die Gemein­de ist stark geschrumpft. Ich wür­de sie um Fotos, Brie­fe, Andenken fra­gen. Ich wür­de die Lite­ra­tur kon­sul­tie­ren, bei­spiels­wei­se «Hei­mat Biel» (Chro­nos 2011), und Aus­stel­lun­gen, etwa «Das Rote Biel» (Neu­es Muse­um 2021). Und noch etwas: Da das Jüdi­sche Muse­um nur einen Teil des Nach­las­ses hat, wür­de ich notie­ren, wo sich die ande­ren Gegen­stän­de befin­den, um eine Über­sicht zu haben.

NL: In die­ser Syn­ago­ge hat­test Du zusam­men mit ande­ren Mäd­chen eine Bat Mitz­wa Fei­er. Ihr wart die ers­ten Mäd­chen, die aus der Tora lasen. War Dir bewusst, was das für eine Zei­ten­wen­de war?

DE: Mir war das nicht bewusst, ich mach­te mir auch kei­ne gros­sen Gedan­ken dar­über. Eine Bat Mitz­wa wur­de nicht so aus­ge­las­sen wie heu­te gefei­ert. Ich erin­ne­re mich aber, dass sich mei­ne Eltern sehr dafür ein­setz­ten, dass in Biel auch Mäd­chen ihre Bat Mitz­wa fei­ern durf­ten. Anfang der 1980er Jah­re war das nicht selbst­ver­ständ­lich. Wir waren vier Mäd­chen, drei Roman­des und ich, die zusam­men fei­er­ten. Ich erin­ne­re mich an die mit Blu­men geschmück­te Syn­ago­ge und an ein gemein­sa­mes Essen im Gemein­de­saal. Kürz­lich habe ich die Rede gefun­den, die mein Vater für mich ver­fasst hat, mit einem Zitat aus dem Buch Ruth, das man an Scha­wuot liest.

NL: Lie­be Dina, vie­len Dank für Dei­ne Erinnerungen.

verfasst am 15.05.2023