Kidduschbecher
Portrait von Christina Meri

Christina Meri mit Kiddusch-Becher JMS 45

Christina Meri, Jüdisches Museum Basel 2023

Chanukkia mit der Inventarnummer JMS 404

Amulettbehälter mit der Inventarnummer 828

Amulettbehälter mit der Inventarnummer 887

«Judaica-Fälschungen führten die Wissenschaft in die Irre»

Sechs Fragen an
Christina Meri

Fäl­schun­gen sind eine Her­aus­for­de­rung jeder Sam­mel­tä­tig­keit, auch unse­rer eige­nen. Der Aus­tausch mit ande­ren Jüdi­schen Muse­en wirft seit weni­gen Jah­ren neu­es Licht auf zwei­fel­haf­te Judai­ca. Samm­lungs­ku­ra­to­rin Chris­ti­na Meri hat ver­däch­ti­ge Objek­te iden­ti­fi­ziert und spricht im Inter­view mit Muse­ums­lei­te­rin Nao­mi Lubrich über aus der Zeit gefal­le­ne Schrau­ben, Pun­zen, Ver­satz­stü­cke – und über den welt­wei­ten Han­del mit jüdi­scher Nostalgie.

Nao­mi Lubrich: Lie­be Chris­ti­na, Du beschäf­tigst Dich mit fal­schen Judai­ca. Wel­che ver­schie­de­nen Typen gibt es?

Chris­ti­na Meri: Es gibt zwei Kate­go­rien: Fäl­schun­gen und Verfäl­schun­gen, die den Käu­fe­rin­nen und Käu­fern his­to­ri­sche Authen­ti­zi­tät vor­täu­schen sol­len, bei Sil­ber oft mit­hil­fe gefälsch­ter Sil­ber­mar­ken. Fäl­schun­gen sind eine gros­se Anzahl von Hoch­zeits­rin­gen im Besitz jüdi­scher Muse­en welt­weit, die bis vor Kur­zem als alter ita­lie­ni­scher Schmuck gehan­delt wurden.

NL: …und Verfälschungen? 

CM: Ver­fäl­schun­gen sind authen­ti­sche Anti­qui­tä­ten, die nach­träg­lich ‹judai­siert› wur­den, meis­tens durch hebräi­sche Inschrif­ten. Oft wur­den deko­ra­ti­ve Zucker­do­sen oder Zahn­sto­cher-Hal­ter als Besa­mim-Behäl­tern (=Gewürz­do­sen) ver­kauft, weil Judai­ca sel­te­ner sind und des­halb höhe­re Prei­se erziel­ten als nor­ma­les Tafel­sil­ber. Ande­re Ver­fäl­schun­gen bestehen aus meh­re­ren wie­der­ver­wen­de­ten Bestand­tei­len. Wir haben einen Kid­dusch-Becher, des­sen Stil­fuss aus einem ehe­ma­li­gen Ker­zen­hal­ter besteht. Bei die­sen Kom­po­si­ta fin­det man oft eine authen­ti­sche Sil­ber­mar­ke auf einem der Bestandteile.

NL: Wie sind sie ins Jüdi­sche Muse­um gekommen?

CM: Der Han­del mit alten Judai­ca begann im 19. Jahr­hun­dert, als pri­va­te Sammler:innen reprä­sen­ta­ti­ve, ästhe­ti­sche Judai­ca erwar­ben. Dar­un­ter waren auch vie­le Vor­zei­ge­ob­jek­te für die Vitri­ne, die nicht für den Gebrauch geeig­net waren. An der Wen­de zum 20. Jahr­hun­dert unter­stütz­ten Komi­tees und För­der­ver­ei­ne für jüdi­sches Kul­tur­gut die Ent­ste­hung von jüdi­schen Muse­en oder Abtei­lun­gen in Hei­mat- oder Volks­kun­de­mu­se­en ver­schie­de­ner euro­päi­scher Städ­te. Jüdi­sches Kult­ge­rät wur­de unter eth­no­lo­gi­schen oder kunst­his­to­ri­schen Gesichts­punk­ten unter­sucht. Dies liess auch die Nach­fra­ge nach Judai­ca stei­gen, und ent­spre­chend wuchs auch das Ange­bot an alten – oder eben nicht so alten – jüdi­schen Anti­qui­tä­ten im Han­del. Unse­re Samm­lung hat Judai­ca in den ers­ten Grün­dungs­jah­ren 1966 als Dau­er­leih­ga­ben ande­rer Schwei­zer Muse­en und als Schen­kun­gen von Pri­vat­per­so­nen erhal­ten. Das Muse­um hat aber auch unwis­sent­lich Fäl­schun­gen angekauft.

NL: Wie unter­sucht man ein Objekt auf sei­ne Echtheit?

CM: Wir unter­su­chen Objek­te auf ihre Qua­li­tät und Ver­ar­bei­tung hin im Ver­gleich mit ande­ren Objek­ten aus der­sel­ben Epo­che. Oft erkennt man fal­sche Sil­ber­ob­jek­te an Schrau­ben, die nicht zeit­ge­mäss sind, am Gewin­de oder an der Lötung. Um den Wert eines Judai­ca-Objekts zu stei­gern, wer­den fal­sche Pun­zen von nam­haf­ten Sil­ber­schmie­de­städ­ten benutzt. Wenn Stadt- und Sil­ber­schmie­de­mar­ken zum Bei­spiel nicht zuein­an­der pas­sen, ist das Objekt nicht echt. Und auch qua­li­ta­tiv: Fälscher:innen errei­chen die Qua­li­tät der Spit­zen­pro­duk­te sel­ten. Bei den Kom­po­si­ta hilft es, die ein­zel­nen Bestand­tei­le sti­lis­tisch zu unter­su­chen. Man erkennt es leicht, wenn ein Teil nach Bie­der­mei­er und ein ande­res nach Roco­co aus­sieht. Ver­fäl­schun­gen ent­larvt man, wenn die ein­gra­vier­ten Inschrif­ten hand­werk­li­che Män­gel oder ortho­gra­phi­sche Feh­ler ent­hal­ten. Und zuletzt kann man schau­en, ob Zere­mo­ni­al­ge­gen­stän­de für ihren Zweck geeig­net sind, also ob sie über­haupt funk­tio­nie­ren. Wir haben Besa­mim-Behäl­ter in unse­rer Samm­lung mit so engen Öff­nun­gen, dass man Gewür­ze kaum rein- und schon gar nicht rausbekommt.

NL: Sind die Fäl­schun­gen in allen Muse­en gleich?

CM: Ja, zumin­dest die Jüdi­schen Muse­en in Euro­pa haben ähn­li­che Fal­si­fi­ka­te, so dass wir glau­ben, dass ein gemein­sa­mes Netz­werk von Fälscher:innen die Muse­en belie­fer­ten. Die­se Arbeit ist detek­ti­visch – und sehr spannend!

NL: Wie wird man über die­se Objek­te in dreis­sig Jah­ren schreiben?

CM: Lan­ge Zeit haben die Fal­si­fi­ka­te die Wis­sen­schaft in die Irre geführt. Sie fan­den Ein­gang in Werk­ver­zeich­nis­se und Sekun­där­li­te­ra­tur. Sie präg­ten unser Ver­ständ­nis des­sen, wie reli­giö­se Bräu­che gefei­ert wur­den. Doch sind die fal­schen Judai­ca des aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­derts auch Zeit­do­ku­men­te, Aus­druck ihrer Epo­che. Man­che spie­geln den Wunsch der neu gleich­be­rech­tig­ten Jüdin­nen und Juden nach deko­ra­ti­ven Zeug­nis­sen, nach einer wür­di­gen Ver­gan­gen­heit. Die Objek­te sind reprä­sen­ta­tiv – oder sol­len Nost­al­gie erzeu­gen. In dreis­sig Jah­ren wird man Fäl­schun­gen hof­fent­lich ver­ste­hen, ein­deu­tig bestim­men kön­nen und ihren Ent­ste­hungs­kon­text auf­ge­ar­bei­tet haben.

NL: Lie­be Chris­ti­na, hof­fent­lich geht das schnel­ler! Vie­len Dank, dass Du Dein Wis­sen mit uns teilst – sowie die fol­gen­den Literaturangaben: 

Vivi­an B. Mann, The First Eng­lish Coll­ec­tor of Jewish Wed­ding Rings and their Dea­lers, in: IMAGES, Bd. 11, Lei­den 2018, 177–185.

Alfred Mol­do­van, Foo­lish­ness, Fakes, and For­ge­ries in Jewish Art. An Intro­duc­tion to the Dis­cus­sion on Judai­ca Con­ser­va­ti­on and Coll­ec­ting Today, in: Cla­re Moo­re (Hrsg.), The Visu­al Dimen­si­on. Aspects of Jewish Art, 1. Aufl., Rout­ledge 1993, 105–119.

Bern­hard Purin, Judai­ca in Süd­deutsch­land. Eine Typo­lo­gie, Kap. 6: Fäl­schun­gen, Ver­fäl­schun­gen und Repli­ken, in: Otto Lohr, Bern­hard Purin (Hrsg.), Jüdi­sches Kul­tur­gut. Erken­nen-Bewah­ren-Ver­mit­teln, Berlin/München 2017, 90–93.

Jay Wein­stein, A Coll­ec­tors’ Gui­de to Judai­ca, Kap. 18: Fakes and For­ge­ries, Lon­don 1985.

verfasst am 11.07.2023