Flüchtlinge beim Aushub von Lehm im Arbeitslager Bad Schauenburg, August 1941

Die Küchenmannschaft des Arbeitslagers Bad Schauenburg, 1942

Leon Sternbach in Arosa, 1939

5 Flüchtlinge vor dem «Emigrantenheim» in Diepoldsau, 1938

«Flüchtlinge leisteten schwere körperliche Arbeit»

Barbara Häne über ein Fotoalbum aus der Schweizer Kriegszeit

Das Jüdi­sche Muse­um bewahrt ein Foto­al­bum aus der Schweiz zur Zeit des Zwei­ten Welt­kriegs (JMS 930). For­sche­rin und His­to­ri­ke­rin mit Schwer­punkt schwei­ze­risch-jüdi­sche Flücht­lings­hil­fe, Bar­ba­ra Häne, erschloss das Album im Rah­men des Digi­ta­li­sie­rungs­pro­jekts 2022. Nao­mi Lubrich frag­te sie, was sie im Album ent­deckt hat.

Nao­mi Lubrich: Lie­be Bar­ba­ra, was ist das für ein Foto­al­bum, das Du erforscht hast?

Bar­ba­ra Häne: Das Album gehör­te Leo Stern­bach, der im Novem­ber 1938 von Wien nach Die­pold­sau (St.Gallen) geflo­hen war und in ver­schie­de­nen Arbeits­la­gern inter­niert wur­de. Die Fotos zei­gen den All­tag der Flücht­lin­ge im Lager­sys­tem der Schweiz, im Stras­sen­bau und bei der Arbeit in der Küche, aber auch in ihrer Frei­zeit, etwa beim Fuss­ball­spiel. Die­ses Foto­al­bum ist ein ein­drück­li­ches Zeug­nis der Lebens­wirk­lich­keit jüdi­scher Flüchtlinge.

NL: Du sprichst von Flücht­lin­gen, nicht von Emi­gran­ten. Was ist der Unterschied?

BH: Bis in die 1940er Jah­re sprach man von jüdi­schen Flücht­lin­gen als «Emi­gran­ten». Der Begriff sug­ge­rier­te, dass es sich nicht um poli­tisch Ver­folg­te, son­dern um uner­wünsch­te Aus­län­der han­del­te: «Emi­gran­ten» erhiel­ten in der Schweiz nur eine kurz­zei­ti­ge Auf­ent­halts­be­wil­li­gung, und zwar unter der Vor­aus­set­zung, dass sie mög­lichst bald ins Aus­land wei­ter­rei­sen. Der Auf­ent­halt war an har­te Bedin­gun­gen geknüpft. Sie muss­ten eine Kau­ti­on bezah­len oder eine ande­re Garan­tie hin­ter­le­gen. Und sie muss­ten bewei­sen, dass sie kon­kre­te Plä­ne hat­ten, in ein Dritt­land wei­ter­zu­rei­sen. Mit der Bezeich­nung «Emi­grant» brach­te man die­se nur vor­über­ge­hen­de Auf­nah­me zum Aus­druck. Die Rea­li­tät jedoch war, dass die Flücht­lin­ge auf­grund der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­fol­gung über­stürzt und ohne kon­kre­te Plä­ne geflo­hen waren. Ich bevor­zu­ge daher den Begriff «Flücht­ling».

NL: Leo Stern­bach wur­de in ver­schie­de­nen Arbeits­la­gern in der Schweiz inter­niert. Warum?

BH: Flücht­lin­ge erhiel­ten in der Schweiz in der Regel kei­ne Arbeits­be­wil­li­gung, sie konn­ten also kei­ner Erwerbs­tä­tig­keit nach­ge­hen. Statt­des­sen wur­den sie in Lagern inter­niert, um sie kos­ten­güns­tig zu ver­sor­gen und um staat­li­che Infra­struk­tur zu bau­en, wie etwa Stras­sen. Die Schweiz war auf bil­li­ge und kräf­ti­ge Arbei­ter ange­wie­sen, da die eige­nen jun­gen Män­ner Wehr­dienst leis­te­ten. Es war die Zeit der Gene­ral­mo­bil­ma­chung. Die Arbei­ten, die Flücht­lin­ge ver­rich­ten muss­ten, waren kör­per­lich hart und die Unter­künf­te äus­serst beschei­den, wie man auf den Fotos sieht, egal ob im Lager in Die­pold­sau, St.Gallen, Bad Schau­en­burg, Basel­land oder im Arbeits­la­ger Zweid­len-Weiach bei Zürich, wo Leo Stern­bach jeweils sta­tio­niert war. Er hat­te übri­gens Glück: Er wur­de der Küchen­mann­schaft zuge­teilt, wo die Arbeit weni­ger anstren­gend war. Flücht­lin­ge erhiel­ten zwar eine Ver­gü­tung, aber eine aus­ser­or­dent­lich gering­fü­gi­ge. Der gröss­te Teil durf­te nicht frei ver­wen­det wer­den, son­dern wur­de auf ein Sperr­kon­to ein­ge­zahlt, das nur für die spä­te­re Emi­gra­ti­on ein­ge­setzt wer­den sollte.

NL: Weiss man etwas über Leo Stern­bachs Leben nach den Arbeitslagern?

BH: Im Foto­al­bum sieht man Leo Stern­bach auch nach dem Krieg. Er blieb mit sei­nen Schick­sals­ge­nos­sen aus den Arbeits­la­gern in Kon­takt. Sie wur­den Freun­de. Die Fotos zeu­gen aber davon, dass vie­le jüdi­sche Flücht­lin­ge nach dem Krieg nicht in der Schweiz blei­ben konn­ten, son­dern in ein Dritt­land aus­wan­dern muss­ten. Was über­ra­schen mag: Vie­le Fotos aus den Arbeits­la­gern sind fröh­lich und zei­gen neben schwe­rer Arbeit auch unbe­schwer­te Momen­te, etwa beim Besuch eines Schwimm­bads. Beson­ders inter­es­sant fin­de ich auch die Auf­nah­men, die davon zeu­gen, dass jüdi­sche Fei­er­ta­ge im Arbeits­la­ger gefei­ert wur­den, zum Bei­spiel Rosch ha-Sch­a­na im Flücht­lings­la­ger Die­pold­sau oder Suk­kot und Cha­nuk­ka im Arbeits­la­ger Bad Schauenburg.

NL: Lie­be Bar­ba­ra, vie­len Dank für Auf­ar­bei­tung die­ses Kapi­tels der Schwei­zer Geschich­te. 

verfasst am 22.06.2023