«Es sind Fragen von Profit, Moral, Geld und Rettung.»
Eva Reifert über
die Ausstellung
«Zerrissene Moderne»
Im Oktober 2022 eröffnete das Kunstmuseum Basel die Ausstellung «Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe ‹entarteter› Kunst». Thema sind die im Jahr 1939 angekauften Werke, die der NS-Staat aus deutschen Museen beschlagnahmt hatte. Das Kunstmuseum Basel kaufte einige davon in einer Auktion in Luzern, andere direkt in Berlin – und baute damit eine bedeutende Sammlung moderner europäischer Kunst auf. Die Kuratorin 19. Jahrhundert/Klassische Moderne am Kunstmuseum Basel Dr. Eva Reifert sprach mit Dr. Naomi Lubrich über das lange geplante Ausstellungsthema, das jetzt seinen richtigen Zeitpunkt gefunden hat.
Naomi Lubrich: Seit Langem wolltest Du eine Ausstellung zu den im Jahr 1939 als «entartete» Kunst angekauften Werken realisieren. Ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür gekommen?
Eva Reifert: Mit den Vorbereitungen habe ich etwa 2017/18 begonnen, seit 2021 dann unterstützt von der Leiterin der neugeschaffenen Abteilung Provenienzforschung, Tessa Rosebrock. Wir haben das Thema also gründlich durchdacht und uns die Zeit genommen, es gut zu strukturieren und zu präsentieren. Es trifft sich gut, dass das gesellschaftliche Gespräch in der Schweiz gerade sehr offen und engagiert ist. Das Projekt passt gut in unsere Zeit.
NL: Welche verschiedenen Kunstrichtungen wurden unter dem Begriff «entartet» zusammengefasst?
ER: Der Begriff der «Entartung» wurde mit grosser Willkür von Seiten des NS-Staats verwendet für alles, was nicht in das Weltbild des Regimes passte. Insgesamt wurde damit Kunst diffamiert, die zu modern erschien oder nicht ideologiekonform war, wie etwa der Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus, Kubismus und Fauvismus. Aber auch Künstler, die im Rahmen der freiheitlichen Kunstpolitik der Weimarer Republik gefördert worden waren, und Werke von jüdischen Künstlerinnen und Künstler oder solche mit jüdischen oder politischen Themen waren besonders betroffen.
NL: Was bewirkte es in Basel, dass solch wichtige Werke für das Kunstmuseum angekauft werden konnten?
ER: Für das Kunstmuseum Basel waren die 1939 erworbenen 21 Werke eine Weichenstellung. Sie sind zum Fundament der Sammlung moderner europäischer Kunst geworden, die dann in den folgenden Jahrzehnten durch Dauerleihgaben, Schenkungen und Ankäufe weiter gewachsen ist. Ohne die Ankäufe von damals wäre das Kunstmuseum nicht zu dem geworden, was es ist.
NL: Mit welchen Fragen möchtest Du das Publikum aus der Ausstellung entlassen?
ER: In einer Meinungswand, die die historische Diskussion an zentraler Stelle in der Ausstellung nachzeichnet, kommen die Fragen von Profit, Moral, Geld und Rettung ganz direkt zur Sprache. Ausserdem sind die wichtigsten Dokumente alle einsehbar, sodass sich jede und jeder selbst ein Bild machen kann. Ich glaube, das lässt am Ende des Rundgangs spüren, wie komplex und dicht die Ereignisse waren und wie aufgeladen die Situation war. Mich interessiert sehr zu hören, was die Besucher nach ihrem Rundgang denken – dafür gibt es auf unserer Website Feedback-Möglichkeiten, auch mit der Option, Fragen zu stellen. Für alle, die richtig einsteigen wollen in die Diskussion, gibt es zudem Dialog-Führungen, in denen man das Thema kritisch hinterfragen kann. Nicht zuletzt werden diese Fragen im Briefwechsel zwischen Paul Westheim, dem jüdischen Kunstkritiker, und Georg Schmidt, dem damaligen Kunstmuseumsdirektor, am Ende der Ausstellung angesprochen, den man sich als Audiocollage anhören kann.
NL: Liebe Eva, darauf bin ich gespannt. Vielen Dank für Deinen Einblick!
verfasst am 09.12.2022
Blick in die Auktion der Galerie Fischer während der Versteigerung von Marc Chagalls «La Prise (Rabbin)», Luzern 1939
© Fotostiftung der Schweiz, Gotthard Schuh
Laura Langeder über die Wiener Ausstellung «Hitler entsorgen»
Fünf Fragen an
Efrat Gilad