«Von dem Frohsinn junger Menschen war im Museum nichts zu verspüren»

Alliya Oppliger blickt zum 60. Jahrestag auf die Ausstellung Monumenta Judaica zurück

Die Köl­ner Aus­stel­lung Monu­men­ta Judai­ca. 2000 Jah­re Geschich­te und Kul­tur der Juden am Rhein war am 15. Okto­ber 1963 eröff­net wor­den; sie war die ers­te gros­se Aus­stel­lung zur jüdi­schen Reli­gi­on und Kunst des Rhein­lands. Alli­ya Opp­li­ger, ange­hen­de His­to­ri­ke­rin und Prak­ti­kan­tin im Jüdi­schen Muse­um der Schweiz erforsch­te die Geschich­te der Monu­men­ta Judai­ca zum Anlass ihres sech­zigs­ten Jah­res­ta­ges. Muse­ums­lei­te­rin Nao­mi Lubrich befrag­te sie zu deren Bedeu­tung und Nachhall.

Nao­mi Lubrich: Lie­be Alli­ya, 1963/64 war die Aus­stel­lung Monu­men­ta Judai­ca im Köl­ner Stadt­mu­se­um zu sehen. Wie muss man sie sich vorstellen? 

Alli­ya Opp­li­ger: Die Aus­stel­lung war gross und umfas­send. Ihr Anspruch war, 2000 Jah­re Geis­tes- und Gemein­de­le­ben der Jüdin­nen und Juden am Rhein zu zei­gen, von Basel nach Emme­rich. 2200 Leih­ga­ben waren aus 15 Län­dern aus Biblio­the­ken und Muse­en in Washing­ton, dem Vati­kan, Mos­kau, Lon­don, Wien, Kopen­ha­gen, Buda­pest, Ams­ter­dam und natür­lich Deutsch­land dafür zusammengetragen.

NL: Gab es einen beson­de­ren Anlass für die Ausstellung?

AO: Ja, einer der Grün­de war poli­tisch: Im Dezem­ber 1959 war die Köl­ner Syn­ago­ge in der Roon­stras­se beschmiert wor­den, und die­se Schmie­re­rei­en hat­ten eine Wel­le anti­se­mi­ti­scher Vor­fäl­le in ganz West-Deutsch­land aus­ge­löst. Eine Infor­ma­ti­ons­kam­pa­gne soll­te Abhil­fe schaf­fen. Zunächst erwog man, eine Aus­stel­lung in Reck­ling­hau­sen namens Syn­ago­ga nach Köln zu holen. Syn­ago­ga (1960/61) war die ers­te grös­se­re Aus­stel­lung zum Juden­tum in der deut­schen Nach­kriegs­zeit. Sie hat­te präch­ti­ge jüdi­sche Kult­ge­gen­stän­de zur Schau gestellt. Statt­des­sen aber ent­schied man, eine eige­ne Aus­stel­lung mit einem ande­ren Fokus zu machen. Die Köl­ner Aus­stel­lung ori­en­tier­te sich an die regio­nal­ge­schicht­li­chen Aus­stel­lun­gen der Wei­ma­rer Zeit, ins­be­son­de­re an der jüdi­schen Abtei­lung der Jahr­tau­send­aus­stel­lung des Rhein­lan­des 1925.

NL: Wer finan­zier­te die Ausstellung? 

AO: Die Kos­ten tru­gen die Stadt Köln zu einem Drit­tel und die Bun­des- und der Lan­des­re­gie­rung zu einem wei­te­ren Drit­tel; das letz­te Drit­tel kam aus dem Erlös durch den Ver­kauf von Ein­trit­ten und Publikationen.

NL: Kannst Du etwas zum Kon­zept sagen? 

AO: Die Aus­stel­lung war päd­ago­gisch moti­viert. Sie hob das Zusam­men­le­ben der Juden und Chris­ten her­vor und die gegen­sei­ti­ge Befruch­tung der Reli­gio­nen und Kul­tu­ren. Knapp zwan­zig Jah­re nach Kriegs­en­de woll­te sie das anti­jü­di­sche Zerr­bild der Nazis kor­ri­gie­ren. Vie­le Ideen waren damals inno­va­tiv, zum Bei­spiel woll­te man ver­mei­den, die jüdi­sche Geschich­te ledig­lich als Ver­fol­gungs­ge­schich­te zu zei­gen. Man wies dar­auf hin, dass die Jüdin­nen und Juden durch die Umge­bungs­kul­tur geprägt waren. Anders als ande­re Aus­stel­lun­gen soll­te auf pro­mi­nen­te Bio­gra­fien ver­zich­tet, statt­des­sen das Leben nor­ma­ler Men­schen gezeigt werden.

NL: Was war die Reso­nanz auf die Ausstellung? 

AO: Die Aus­stel­lung war gut besucht: 114.450 Per­so­nen kamen, dar­un­ter Grup­pen aus der Kir­che, aus dem Bil­dungs­we­sen, der Streit­kräf­te sowie der Poli­tik, z.B. der Prä­si­dent der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land Hein­rich Lüb­ke, Kar­di­nal Frings, der vor­ma­li­ge israe­li­sche Minis­ter­prä­si­dent Mos­he Sharett, der Prä­si­dent der World Zio­nist Orga­ni­sa­ti­on Nahum Gold­mann und den Mit­be­grün­der des Leo Baeck Insti­tuts, Sieg­fried Moses. Der Wunsch, die Jugend anzu­spre­chen, gelang: Über 61 Pro­zent der Besu­cher, 70.232 Per­so­nen, waren Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne. Meh­re­re Jour­na­lis­ten bemerk­ten, dass die Aus­stel­lung sie zur Beschäf­ti­gung mit der deut­schen Ver­gan­gen­heit inspi­rier­te. Der Rechts­an­walt Curt C. Sil­ber­mann beob­ach­te­te in der deutsch-jüdi­schen Exil­zei­tung Auf­bau beispielsweise:

«Von dem Froh­sinn jun­ger Men­schen war im Muse­um nichts zu ver­spü­ren; sie waren außer­or­dent­lich ernst und fühl­ten sich eini­ger­ma­ßen unsi­cher in einer Umge­bung, die ihnen fremd oder vom Eltern­haus ver­zerrt geschil­dert war. Wenn man die­se Grup­pe jun­ger Men­schen als Maß­stab neh­men kann, so ergibt sich als posi­ti­ves Resul­tat, daß die­se Jugend den Kon­takt sucht, um zu ler­nen und um sich eine unab­hän­gi­ge, d.h. von ihrem Eltern­haus unab­hän­gi­ge Vor­stel­lung zu machen. Dabei muß zuge­ge­ben wer­den, daß eine Begeg­nung mit Muse­ums­ob­jek­ten trotz aller guten Erklä­rung durch Wort und Schrift nicht eine Begeg­nung mit dem leben­den Orga­nis­mus erset­zen kann.» (7. Febru­ar 1964).

NL: Das ist inter­es­sant! Über die Aus­wir­kun­gen der Muse­en auf die Gesell­schaft hören wir ger­ne. Lie­be Alli­ya, vie­len Dank für die­se Ein­sicht in Monu­men­ta Judai­ca, die Aus­stel­lung, die auch die Grün­dung des Jüdi­schen Muse­ums der Schweiz inspirierte.

verfasst am 16.10.2023