«Textilien sind gemeinschaftsbildend.»
Fünf Fragen an
Aviv Szabs
Aviv Szabs, eine israelische Künstlerin in der Schweiz, zeigte im vergangenen Jahr im Museum Langenthal ihr Selbstportrait «It’s inspired by Ophelia, whereas I am drowning in laundry». Dabei inszeniert sie ihre Erfahrung als junge jüdische Mutter und Ausländerin in der ländlichen Schweiz. Für das Buch «Geburtskultur» (Schwabe, 2022) sprach Naomi Lubrich mit ihr über Mutterschaft, Wäsche und das Gemälde «Ophelia» von Sir John Everett Millais.
Naomi Lubrich: Aviv, Du bist Künstlerin. Was ist die Geschichte hinter «It’s inspired by Ophelia, whereas I am drowning in laundry»?
Aviv Szabs: Im Juli 2021 kam ich mit meinem Mann und einem einjährigen Baby in Riedtwil an. Ich verbrachte die Wintertage zu Hause; ich war Ausländerin und eine junge Mutter, die rund um die Uhr hebräische Kinderlieder sang. Ich fand mich mit einem riesigen Haufen schmutziger Kleider wieder, vier Säcke, um genau zu sein: Einem mit den Kleidern meines Mannes, einem mit den Kleidern unserer Tochter, einem mit Küchen- und Bettwäsche und einem mit meinen eigenen Kleidern, die ich nicht rechtzeitig hatte waschen können. Ich hatte eine neue Waschmaschine – aber ich fühlte eine innere Spannung zwischen meiner Verantwortlichkeit für den Haushalt und meinem Bedürfnis, mich als Künstlerin der Öffentlichkeit zuzuwenden. Ich begann die Prozesse des Reinigens und Pflegens aus der häuslichen Umgebung herauszulösen und fasste den Entschluss, die schmutzige Kleidung in einem Ausstellungsraum als Kunstwerk zu konzipieren. Sie war vom 2. Dezember 2021 bis zum 16. Januar 2022 im Kunsthaus Langenthal ausgestellt.
NL: Auf welche Ophelia bezieht sich Dein Foto?
AS: Ich beziehe mich auf das Gemälde «Ophelia» von Sir John Everett Millais (1851– 1852). Seine Ophelia fiel beim Blumenpflücken in den Fluss und ertrank, während sie sang. Mein Foto hat das gleiche Format wie Millais’ Gemälde, 76x112 cm, und es zeigt mich, während ich hebräische Lieder für mein Baby singe. Das Foto, das mich beim Stillen meiner Tochter zeigt, während ich singend in Wäsche ertrinke, wurde von meinem Mann Emanuel Baumann auf unserem Bett aufgenommen. Das Leben in einem offenen Raum, der früher eine alte Metallgiesserei war, gibt uns allen kreative Freiheit, auch unserer Tochter. Wir haben keine Wände, viel Platz, um uns zu bewegen, zu experimentieren und mit unseren Alltagsgegenständen zu spielen.
NL: Wie hast Du Dich als Israelin an das Leben in der ländlichen Schweiz gewöhnt?
AS: Auf dem Land zu sein bedeutet für mich, der Natur nahe zu sein und die vier Jahreszeiten intensiv zu spüren. Wenn ich draussen spazieren gehe, habe ich oft das Gefühl, in einem Gemälde zu sein. Das Land ist eine Quelle der Inspiration und Entspannung, aber auch der Einsamkeit. Früher waren die Frauen an das Haus und an die Entscheidungen der Männer gebunden. Ist es möglich, dass Frauen heute ähnliche Gefühle haben, obwohl ihre Realität eine andere ist?
NL: Gibt es so etwas wie «jüdische Wäsche»?
AS: Historisch gesehen haben Textilien eine gemeinschaftsbildende Funktion. In der heutigen Zeit individualisierter Spiritualität erinnert mich das Falten sauberer Wäsche an meine Kindheit, als ich meiner Mutter dabei zusah, wie sie die Wäsche für alle Familienmitglieder zusammenlegte und nach Gruppen sortierte. Das bringt mich zurück zu mir selbst und zu meinem Zuhause.
NL: Versteht Deine Tochter den Schabbat?
AS: Für meine Tochter Alisha beginnt der Schabbat, indem sie Abba und Imma einen Kuss gibt, während ich die Kerzen anzünde. Sie erinnert uns, dass wir uns küssen müssen, wenn wir «Schabbat Schalom» sagen, wenn wir es vergessen. Auf dem Land ist die Stille am Schabbat wunderschön. Die Nähe zu unserer Umgebung, zur Natur, zu unseren Nachbarn und in unserem Zuhause stiftet unserer Familie Frieden für die kommende Woche.
NL: Aviv, vielen Dank für dieses Gespräch.
verfasst am 13.03.2023
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