Klaus Samuel Davidowic zIllustration: Emma Schweizer

«Die Darstellungen haben sich verändert, aber die Themen sind die gleichen.»

Klaus Samuel Davidowicz über Rabbiner im Spielfilm

Wer ein Rab­bi­ner ist und was ein Rab­bi­ner macht, wis­sen die meis­ten Men­schen nicht aus Erfah­rung, son­dern aus den Medi­en, vor allem aus Spiel­fil­men. Umso wich­ti­ger ist es, wie sie dar­ge­stellt wer­den. Prof. Dr. Klaus Samu­el Davi­do­wicz, Juda­ist, der an der Uni­ver­si­tät Wien die Visu­el­le Jüdi­sche Kul­tur­ge­schich­te als Fach begrün­det hat, spricht im Inter­view mit Muse­ums­lei­te­rin Dr. Nao­mi Lubrich von Rab­bi­nern und Rab­bi­ne­rin­nen, von Stumm­fil­men bis Komö­di­en und von Net­flix-Seri­en bis zu Western.

Nao­mi Lubrich: Lie­ber Herr Davi­do­wicz, seit wann gibt es Rab­bi­ner im Film, und wel­che waren beson­ders einprägsam?

Klaus Davi­do­wicz: Der zeit­li­che Bogen spannt sich über hun­dert Jah­re und vie­le Län­der, mit ihren jeweils unter­schied­li­chen jüdi­schen Kul­tu­ren. Rab­bi­ner in US-ame­ri­ka­ni­schen Fil­men unter­schei­den sich von ihren Kol­le­gen in Euro­pa, und auch hier macht es einen Unter­schied, ob wir von Deutsch­land oder Frank­reich spre­chen. Und natür­lich ist Isra­el ein Fall für sich.

Begin­nen wir mit zwei frü­hen Bei­spie­len aus den USA und Deutsch­land: In «The Jew’s Christ­mas» aus den USA 1913 ist Isaac ein from­mer Rab­bi­ner, des­sen Toch­ter Leah sich in einen Nicht­ju­den ver­liebt. Rab­bi Isaac ver­stösst sie zunächst, ver­söhnt sich aber nach einem Schick­sals­schlag mit ihr. Um ihr zu hel­fen, ver­kauft Rab­bi Isaac sei­ne Gebet­bü­cher. Die­ser Film han­delt von Assi­mi­lie­rung. Er zeigt deren Gelin­gen zu einem Zeit­punkt, als Zehn­tau­sen­de Jüdin­nen und Juden aus Ost­eu­ro­pa in die USA einwanderten.

Zwei Jah­re spä­ter erschien in Deutsch­land «Der Golem» (1915). Dar­in übt «Rab­bi­ner Loew» salo­mo­ni­sche Macht über sei­nen Gehil­fen aus, den Golem, ein Unge­heu­er. Das Wis­sen des Rab­bi Loew wirkt im Film wie schwar­ze Magie. Ohne, dass der Film expli­zit anti­se­mi­tisch wäre, tut Rab­bi Loew das, was Anti­se­mi­ten den Juden vor­wer­fen, näm­lich mit undurch­sich­ti­gen Kräf­ten Ein­fluss zu neh­men. Rab­bi Loew hat­te einen berüch­tig­ten Nach­fol­ger: Im Nazi­film «Jud Süß» (1940) tritt ein neu­er Rab­bi Loew auf, der mit Hil­fe der Astro­lo­gie den Her­zog von Würt­tem­berg, Karl Alex­an­der, gegen das Wohl des Vol­kes aufhetzt.

NL: Wie sehen im Ver­gleich dazu die heu­ti­gen Rab­bi­ner­dar­stel­lun­gen aus? 

KD: In den letz­ten zwan­zig Jah­ren hat die Ultra­or­tho­do­xie Ein­zug in das popu­lä­re Kino gehal­ten. Das Bild des ultra­or­tho­do­xen Rab­bi­ners erreich­te in Seri­en wie «Shti­sel» (2013), «Unor­tho­dox» (2020) aber auch schon in «A Pri­ce abo­ve Rubies» (1997) ein glo­ba­les Publi­kum. Vie­le sind Aus­bruchs­ge­schich­ten: Jun­ge Aus­stei­ger wen­den sich von den chare­di­schen Gemein­den ab und einem säku­la­ren, moder­nen Leben zu. Dar­un­ter sind «Dis­o­be­dience», der die Lie­be zwi­schen zwei Frau­en the­ma­ti­siert, oder «Has­sodot», (Israel/Frankreich 2007), über Frau­en, die sich an einer Jeschi­va rab­bi­ni­sches Wis­sen aneig­nen. Der Blick ist inner­jü­disch – und kritisch.

Die Hand­lun­gen und Dar­stel­lun­gen mögen sich ver­än­dert haben, aber die The­men sind die glei­chen geblie­ben: Jüdin­nen und Juden zwi­schen eige­nen Bräu­chen und der Kul­tur der Umge­bung, oder libe­ra­les Juden­tum ver­sus Ortho­do­xie. Schon in «The Jew’s Christ­mas» ging es ja um Ausbruch.

NL: Seit wann gibt es Rab­bi­ner in Komö­di­en oder anders gesagt, komi­sche Rabbiner?

KD: 1972 stellt Woo­dy Allen in «Was Sie schon immer über Sex wis­sen woll­ten, aber bis­her nicht zu fra­gen wag­ten» eine Sze­ne dar, in der der Gewin­ner eines Zuschau­er­spiels sei­ne Per­ver­si­on vor der Kame­ra aus­le­ben darf. Die­ses Glück hat Rab­bi Cha­im Bau­mel, und sein Wunsch ist es, gefes­selt und aus­ge­peitscht zu wer­den, wäh­rend sei­ne Frau Schwei­ne­fleisch isst. Ich muss sagen, ich fin­de die Sze­ne nicht komisch, son­dern abstos­send. Woo­dy Allen scheint die Pro­vo­ka­ti­on zu suchen – das in der Zeit, als man den Anti­se­mi­tis­mus über­wun­den glaubte.

Seit den 1970er Jah­ren gibt es aber auch wirk­lich lus­ti­ge Rab­bi­ner, zum Bei­spiel in den Komö­di­en von Mel Brooks, dar­un­ter «Welt­ge­schich­te, ers­ter Teil» (1981). Eine frü­he Rab­bi­ner-Komö­die ist der Wes­tern­film «Ein Rab­bi im Wil­den Wes­ten» bezie­hungs­wei­se «The Fris­co Kid» aus dem Jahr 1979 mit Gene Wil­der in der Rol­le eines Rab­bi­ners, der von Polen nach San Fran­cis­co ver­setzt wird. «Die Aben­teu­er des Rab­bi Jacob» bezie­hungs­wei­se «Les Aven­tures de Rab­bi Jacob» (1973) ist eine legen­dä­re fran­zö­si­sche Ver­wechs­lungs­ko­mö­die mit Lou­is de Funès. Der Prot­ago­nist, ein Ras­sist, taucht unter, indem er sich als Rab­bi­ner ausgibt.

NL: 2001 spiel­te Mol­ly Par­ker die Rab­bi­ne­rin Ari in «Six Feet Under». War sie die ers­te Rab­bi­ne­rin in einem popu­lä­ren Film? 

KD: Wenn man es genau nimmt, war die ers­te Rab­bi­ne­rin im Film «Yentl», und zwar schon 1983. Yentl ist eine jun­ge Frau aus dem Stetl, deren Vater ihr heim­lich den Tal­mud bei­bringt, was unter Ortho­do­xen ver­bo­ten ist. Nach sei­nem Tod ver­klei­det sie sich als Mann und stu­diert an einer Yes­hi­va, einer Reli­gi­ons­schu­le. Damit ist sie eine Frau in der Rol­le des Rab­bi­ners. Heu­te hin­ge­gen sind Rab­bi­ne­rin­nen in ame­ri­ka­ni­schen Fil­men so ver­brei­tet, dass sie kaum noch auf­fal­len, sie­he die Serie «Trans­pa­rent» (2014) mit Kath­ryn Hahn als Rab­bi­ne­rin Raquel Fein.

NL: Lie­ber Herr Davi­do­wicz, haben Sie herz­li­chen Dank für Ihre Einblicke. 

verfasst am 03.03.2025