«Warenhäuser waren regelrechte Traumwelten.»
Angela Bhend über jüdische Gründer von Warenhäusern
in der Schweiz
Ende des 19. Jahrhunderts wurden in der Schweiz moderne Warenhäuser eröffnet, eine Grosszahl durch jüdische Unternehmer, wie Julius Brann oder die Brüder Maus und Léon Nordmann. Das Jüdische Museum der Schweiz sammelt deren Nachlässe, darunter Werbeartikel, Clichés und Quittungen. Dr. Barbara Häne, Historikerin am Jüdischen Museum, sprach mit ihrer Kollegin Dr. Angela Bhend über die jüdischen Hintergründe der Warenhäuser, über ihre sakrale Architektur und über Werbestrategien der Verführung.
Barbara Häne: Liebe Angela, Du hast Dich mit Warenhäusern und ihren jüdischen Besitzern auseinandergesetzt. Was, genau, ist ein Warenhaus?
Angela Bhend: Das war von Beginn an eine heiss diskutierte Frage. Vor allem wegen der Abgrenzung zu anderen Handelsbetrieben, wie etwa dem Kauf- oder dem Modehaus. Auch war lange unklar, ob ein Warenhaus nur etwas mit der Grösse, mit dem Sortiment oder dem Umsatz zu tun hat. Im Prinzip aber ist ein Warenhaus ein grosser Einzelhandelsladen, der eine Vielzahl von Waren und Produkten anbietet, darunter Kleidung, Haushaltswaren, Möbel, Elektronik, Spielzeug, auch Lebensmittel und vieles mehr. Die Idee, Waren aus aller Welt unter einem Dach anzubieten, galt in der Mitte des 19. Jahrhunderts als revolutionär. Gleichzeitig sorgten neue Verkaufsmethoden wie fixe Preise, freier Eintritt, Rückgaberecht und die Inszenierung der Waren durch Schaufensterpräsentation und Werbung für eine grundlegende Umwälzung in den bis dahin dominierenden Kleinbetrieben im Einzelhandel.
BH: Welchen Anteil hatten Juden an ihren Gründungen?
AB: Tatsächlich stammten etwa die Hälfte der Schweizer Warenhausgründer aus jüdischen Familien. Ähnlich war es in Deutschland, wo fast alle Warenhäuser von jüdischen Familien gegründet wurden. Das Interesse jüdischer Geschäftsleute an diesem Gewerbe lässt sich gut erklären: Über Jahrhunderte hinweg wurden Juden diskriminiert und in Berufe wie den Vieh- oder Textilhandel gedrängt. Der Zugang zu anderen Berufsfeldern blieb ihnen aufgrund rechtlicher Beschränkungen verwehrt. Sie verfügten deshalb über umfangreiche Handelskenntnisse, waren versiert im Umgang mit Produzenten und Konsumenten und waren zudem an eine mobile Lebensweise gewöhnt. Als die rechtlichen Schranken in den westeuropäischen Ländern fielen, nutzten viele jüdische Händler ihr Fachwissen und etablierten sich mit eigenen Handelsunternehmen, aus denen später auch zahlreiche Warenhäuser entstanden.
BH: Woher kamen die jüdischen Warenhausgründer?
AB: Die jüdischen Warenhausinhaber in der Schweiz stammten hauptsächlich aus dem benachbarten Ausland. Julius Brann kam aus der damals preussischen Stadt Rawitsch (heute Polen). Auch die Familie Knopf entstammte dem preussischen Międzychód (zu Deutsch Birnbaum, heute Polen). Die Familie Loeb kam aus Nieder-Wiesen (Rheinhessen) und die beiden Familien Maus und Nordmann (Manor) sowie die Brüder Lang aus dem elsässischen Raum (Colmar, Hegenheim und Sierentz).
BH: Dein Buch erschien unter dem Titel «Triumph der Moderne». Welchen Triumph feierten die Warenhäuser?
AB: Das Warenhaus war in seiner Entstehungs- und Blütezeit ein faszinierendes und von zahlreichen Diskursen geprägtes Phänomen. Schon im Jahr 1881 bezeichnete die Pariser Zeitung Le Figaro das Warenhaus als eines der bedeutendsten Wirtschaftsphänomene seiner Zeit. Besonders die Warenhäuser in den grossen Metropolen wie Berlin, London und Paris zogen die Menschen in Massen an. Das Warenhaus versprach allen, unabhängig von ihrem sozialen Status, einen Hauch von Luxus zu erschwinglichen Preisen. Aufsehenerregend war auch die Architektur der Warenhäuser, die eher an ein Schloss oder eine Kirche, als an einen Verkaufsladen erinnerte. Mit ihrer luxuriösen Innenausstattung, den mit Tausenden zu Türmen aufgestapelten Artikeln und Warenauslagen avancierte das Warenhaus zum ultimativen Publikumsmagneten. Zudem sorgten zentrale Lichthöfe für eine besondere, sakrale Einkaufsstimmung. Kein Wunder bezeichnete der französische Schriftsteller Emile Zola in seinem Roman Das Paradies der Damen das Warenhaus als «Tempel für den Verschwendungswahnsinn» oder als «Kathedrale des neuzeitlichen Handels». Nicht zuletzt waren auch innovative Marketing- und Präsentationsstrategien, wie etwa der Katalog oder die Schaufenstergestaltung, eine wichtige Quelle, die etwa der Geschmacksbildung des Bürgertums dienten.
Die Warenhäuser am Fin de Siècle waren regelrechte «Traumwelten», mit einem breiten Angebot einschliesslich Restaurants, Bibliotheken, Kunstausstellungen und moderner Technologie wie etwa Elektrizität. Sie stehen deshalb nicht nur für eine neue Wirtschaftsidee, sondern waren auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Veränderung. So gesehen wurde das Warenhaus um 1900 zum Wendepunkt oder Neuanfang, jedenfalls zu einem sichtbaren Zeichen der Moderne. Der Mensch als Konsument beziehungsweise Konsumentin wurde geboren, Einkaufen wurde zum Erlebnis, zur Freizeitbeschäftigung und für die aufstrebende Mittelschicht gar zu einer neuen Identität.
BH: Welche Häuser waren besonders innovativ?
AB: Ein grosser Pionier in der Warenhausszene war Julius Brann. Als Zwanzigjähriger eröffnete er 1896 in Zürich das allererste Warenhaus der Schweiz. Danach expandierte er mit seiner Unternehmung in zahlreiche Schweizer Städte, wo er weitere Warenhäuser eröffnete. Sein Warenhauskonzern war sehr erfolgreich. Als jedoch der Zweite Weltkrieg ausbrach, verkaufte er sein Unternehmen und emigrierte in die USA. Heute erinnert der 2023 eröffnete Brannhof in Zürich an den einstigen Warenhausunternehmer.
Auch die Gebrüder Loeb waren anfänglich an verschiedenen Standorten mit ihren Warenhäusern anzutreffen, zum Beispiel in Basel an der Eisengasse. Bedeutsam wurde später aber das Warenhaus Loeb in Bern, das bis heute ein Familienunternehmen geblieben ist und bereits in fünfter Generation erfolgreich fortgeführt wird.
Besonders innovativ waren die Brüder Maus und Léon Nordmann. Maus waren zunächst im Engroshandel tätig und beteiligten sich an Warenhausgründungen von Nordmann. Als Grossisten förderten sie die Idee des Warenhauses bei ihren Kunden und trugen so zur Entstehung von Warenhäusern auch in kleineren Städten oder Ortschaften in der Schweiz bei. Die Warenhäuser hatten ursprünglich verschiedene Namen (z.B. Au Louvre, Zur Stadt Paris), wurden aber ab den späten 1970er-Jahren auf Nordmann, Rheinbrücke, Vilan, Placette und Galeries vereinheitlicht. Ab September 1994 trugen die Deutschschweizer Warenhäuser und ab September 2000 die Westschweizer und Tessiner den Namen Manor, in Anlehnung an die Gründerfamilien. Manor ist heute die grösste Warenhauskette der Schweiz.
BH: Die Warenhäuser warben mit Zeichnungen und Fotos. Was waren beliebte Leitmotive?
AB: Ein zentrales Narrativ der Werbeplakate war die Verführung des Kunden, dargestellt durch verschiedene Szenarien wie etwa Menschenmassen vor dem Warenhaus oder Frauen in saisonaler modischer Kleidung. Aber auch Objekte wie etwa Kinderspielzeug wurden künstlerisch inszeniert. Oftmals transportierten diese Plakate eine gewisse Stimmung, die darauf abzielte, die Begehrlichkeiten der Verbraucher anzusprechen und das Gefühl zu vermitteln, dass ein Einkauf im Warenhaus unverzichtbar sei, um etwas Besonderes zu haben oder sich besser zu fühlen. Aber auch mit Slogans wurde um die Kunden gebuhlt. Vor allem in den Krisenjahren waren Schlagwörter wie «billig», «sparen» oder «Ausverkauf» besonders präsent. Die Plakate spiegelten auch den Zeitgeist und die künstlerischen Strömungen wider. Besonders beeindrucken mich persönlich die Plakate aus dem Fin de Siècle. Ein Beispiel ist das Plakat von Charles Loupot aus dem Jahr 1915 für die Gebrüder Loeb in Bern, das eine Frau in einem weissen Kleid mit zwei Engeln zeigt – ein Zusammenspiel von Unschuld und Verführung.
BH: Liebe Angela, vielen Dank für das Gespräch!
verfasst am 08.07.2024
© Illustration: Marva Gradwohl.
© Abb.1: Stickmuster Leporello, Werbegeschenk des Kaufhauses Loeb Zürich, JMS 2120.5, mit Dank an Nicole Loeb, Bern. Foto: Alliya Oppliger.
© Abb.2: Hauszeitungen und Jubiläumsausgaben des Warenhauses Loeb, mit Dank an Nicole Loeb, Bern. Foto: Aline Chalfin.
© Abb.3: Hauszeitungen und Jubiläumsausgaben des Warenhauses Loeb, mit Dank an Nicole Loeb, Bern. Foto: Aline Chalfin.
© Abb.4: Hauszeitungen und Jubiläumsausgaben des Warenhauses Loeb, mit Dank an Nicole Loeb, Bern. Foto: Aline Chalfin.
© Abb.5: Postkarte, Geschäftsfassade des Warenhauses Au Louvre, Murten, JMS 2125.6, mit Dank an Alain und Gérard Kahn, Basel und Bern. Foto: Aline Chalfin.
© Abb.6: Illustrierte Broschüre zum 50. Jubiläum des Warenhauses Au Louvre in Murten, JMS 2125.7, mit Dank an Alain und Gérard Kahn, Basel und Bern. Foto: Aline Chalfin.
© Abb.7: Warenkatalog des Kaufhauses Au Louvre in Murten, JMS 2125.8, mit Dank an Alain und Gérard Kahn, Basel und Bern. Foto: Aline Chalfin.
© Abb.8: Postkarte, kolorierte Lithographie des Warenhauses Brann, Zürich, JMS 2116.2.
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