Dr. Angela Bhend

Stickmuster Leporello, Werbegeschenk des Kaufhauses Loeb Zürich

Hauszeitungen und Jubiläumsausgaben des Warenhauses Loeb

Hauszeitungen und Jubiläumsausgaben des Warenhauses Loeb

Hauszeitungen und Jubiläumsausgaben des Warenhauses Loeb

Postkarte, Geschäftsfassade des Warenhauses Au Louvre, Murten

Illustrierte Broschüre zum 50. Jubiläum des Warenhauses Au Louvre in Murten

Warenkatalog des Kaufhauses Au Louvre in Murten

Postkarte des Warenhauses Brann, Zürich, 1915-1920

«Warenhäuser waren regelrechte Traumwelten.»

Angela Bhend über jüdische Gründer von Warenhäusern
in der Schweiz

Ende des 19. Jahr­hun­derts wur­den in der Schweiz moder­ne Waren­häu­ser eröff­net, eine Gross­zahl durch jüdi­sche Unter­neh­mer, wie Juli­us Brann oder die Brü­der Maus und Léon Nord­mann. Das Jüdi­sche Muse­um der Schweiz sam­melt deren Nach­läs­se, dar­un­ter Wer­be­ar­ti­kel, Cli­chés und Quit­tun­gen. Dr. Bar­ba­ra Häne, His­to­ri­ke­rin am Jüdi­schen Muse­um, sprach mit ihrer Kol­le­gin Dr. Ange­la Bhend über die jüdi­schen Hin­ter­grün­de der Waren­häu­ser, über ihre sakra­le Archi­tek­tur und über Wer­be­stra­te­gien der Verführung.

Bar­ba­ra Häne: Lie­be Ange­la, Du hast Dich mit Waren­häu­sern und ihren jüdi­schen Besit­zern aus­ein­an­der­ge­setzt. Was, genau, ist ein Warenhaus? 

Ange­la Bhend: Das war von Beginn an eine heiss dis­ku­tier­te Fra­ge. Vor allem wegen der Abgren­zung zu ande­ren Han­dels­be­trie­ben, wie etwa dem Kauf- oder dem Mode­haus. Auch war lan­ge unklar, ob ein Waren­haus nur etwas mit der Grös­se, mit dem Sor­ti­ment oder dem Umsatz zu tun hat. Im Prin­zip aber ist ein Waren­haus ein gros­ser Ein­zel­han­dels­la­den, der eine Viel­zahl von Waren und Pro­duk­ten anbie­tet, dar­un­ter Klei­dung, Haus­halts­wa­ren, Möbel, Elek­tro­nik, Spiel­zeug, auch Lebens­mit­tel und vie­les mehr. Die Idee, Waren aus aller Welt unter einem Dach anzu­bie­ten, galt in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts als revo­lu­tio­när. Gleich­zei­tig sorg­ten neue Ver­kaufs­me­tho­den wie fixe Prei­se, frei­er Ein­tritt, Rück­ga­be­recht und die Insze­nie­rung der Waren durch Schau­fens­ter­prä­sen­ta­ti­on und Wer­bung für eine grund­le­gen­de Umwäl­zung in den bis dahin domi­nie­ren­den Klein­be­trie­ben im Einzelhandel.

BH: Wel­chen Anteil hat­ten Juden an ihren Gründungen? 

AB: Tat­säch­lich stamm­ten etwa die Hälf­te der Schwei­zer Waren­haus­grün­der aus jüdi­schen Fami­li­en. Ähn­lich war es in Deutsch­land, wo fast alle Waren­häu­ser von jüdi­schen Fami­li­en gegrün­det wur­den. Das Inter­es­se jüdi­scher Geschäfts­leu­te an die­sem Gewer­be lässt sich gut erklä­ren: Über Jahr­hun­der­te hin­weg wur­den Juden dis­kri­mi­niert und in Beru­fe wie den Vieh- oder Tex­til­han­del gedrängt. Der Zugang zu ande­ren Berufs­fel­dern blieb ihnen auf­grund recht­li­cher Beschrän­kun­gen ver­wehrt. Sie ver­füg­ten des­halb über umfang­rei­che Han­dels­kennt­nis­se, waren ver­siert im Umgang mit Pro­du­zen­ten und Kon­su­men­ten und waren zudem an eine mobi­le Lebens­wei­se gewöhnt. Als die recht­li­chen Schran­ken in den west­eu­ro­päi­schen Län­dern fie­len, nutz­ten vie­le jüdi­sche Händ­ler ihr Fach­wis­sen und eta­blier­ten sich mit eige­nen Han­dels­un­ter­neh­men, aus denen spä­ter auch zahl­rei­che Waren­häu­ser entstanden.

BH: Woher kamen die jüdi­schen Warenhausgründer?

AB: Die jüdi­schen Waren­haus­in­ha­ber in der Schweiz stamm­ten haupt­säch­lich aus dem benach­bar­ten Aus­land. Juli­us Brann kam aus der damals preus­si­schen Stadt Rawitsch (heu­te Polen). Auch die Fami­lie Knopf ent­stamm­te dem preus­si­schen Międ­zy­chód (zu Deutsch Birn­baum, heu­te Polen). Die Fami­lie Loeb kam aus Nie­der-Wie­sen (Rhein­hes­sen) und die bei­den Fami­li­en Maus und Nord­mann (Man­or) sowie die Brü­der Lang aus dem elsäs­si­schen Raum (Col­mar, Hegen­heim und Sierentz).

BH: Dein Buch erschien unter dem Titel «Tri­umph der Moder­ne». Wel­chen Tri­umph fei­er­ten die Warenhäuser? 

AB: Das Waren­haus war in sei­ner Ent­ste­hungs- und Blü­te­zeit ein fas­zi­nie­ren­des und von zahl­rei­chen Dis­kur­sen gepräg­tes Phä­no­men. Schon im Jahr 1881 bezeich­ne­te die Pari­ser Zei­tung Le Figa­ro das Waren­haus als eines der bedeu­tends­ten Wirt­schafts­phä­no­me­ne sei­ner Zeit. Beson­ders die Waren­häu­ser in den gros­sen Metro­po­len wie Ber­lin, Lon­don und Paris zogen die Men­schen in Mas­sen an. Das Waren­haus ver­sprach allen, unab­hän­gig von ihrem sozia­len Sta­tus, einen Hauch von Luxus zu erschwing­li­chen Prei­sen. Auf­se­hen­er­re­gend war auch die Archi­tek­tur der Waren­häu­ser, die eher an ein Schloss oder eine Kir­che, als an einen Ver­kaufs­la­den erin­ner­te. Mit ihrer luxu­riö­sen Innen­aus­stat­tung, den mit Tau­sen­den zu Tür­men auf­ge­sta­pel­ten Arti­keln und Waren­aus­la­gen avan­cier­te das Waren­haus zum ulti­ma­ti­ven Publi­kums­ma­gne­ten. Zudem sorg­ten zen­tra­le Licht­hö­fe für eine beson­de­re, sakra­le Ein­kaufs­stim­mung. Kein Wun­der bezeich­ne­te der fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Emi­le Zola in sei­nem Roman Das Para­dies der Damen das Waren­haus als «Tem­pel für den Ver­schwen­dungs­wahn­sinn» oder als «Kathe­dra­le des neu­zeit­li­chen Han­dels». Nicht zuletzt waren auch inno­va­ti­ve Mar­ke­ting- und Prä­sen­ta­ti­ons­stra­te­gien, wie etwa der Kata­log oder die Schau­fens­ter­ge­stal­tung, eine wich­ti­ge Quel­le, die etwa der Geschmacks­bil­dung des Bür­ger­tums dienten.

Die Waren­häu­ser am Fin de Siè­cle waren regel­rech­te «Traum­wel­ten», mit einem brei­ten Ange­bot ein­schliess­lich Restau­rants, Biblio­the­ken, Kunst­aus­stel­lun­gen und moder­ner Tech­no­lo­gie wie etwa Elek­tri­zi­tät. Sie ste­hen des­halb nicht nur für eine neue Wirt­schafts­idee, son­dern waren auch Aus­druck einer gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­rung. So gese­hen wur­de das Waren­haus um 1900 zum Wen­de­punkt oder Neu­an­fang, jeden­falls zu einem sicht­ba­ren Zei­chen der Moder­ne. Der Mensch als Kon­su­ment bezie­hungs­wei­se Kon­su­men­tin wur­de gebo­ren, Ein­kau­fen wur­de zum Erleb­nis, zur Frei­zeit­be­schäf­ti­gung und für die auf­stre­ben­de Mit­tel­schicht gar zu einer neu­en Identität.

BH: Wel­che Häu­ser waren beson­ders innovativ?

AB: Ein gros­ser Pio­nier in der Waren­haus­sze­ne war Juli­us Brann. Als Zwan­zig­jäh­ri­ger eröff­ne­te er 1896 in Zürich das aller­ers­te Waren­haus der Schweiz. Danach expan­dier­te er mit sei­ner Unter­neh­mung in zahl­rei­che Schwei­zer Städ­te, wo er wei­te­re Waren­häu­ser eröff­ne­te. Sein Waren­haus­kon­zern war sehr erfolg­reich. Als jedoch der Zwei­te Welt­krieg aus­brach, ver­kauf­te er sein Unter­neh­men und emi­grier­te in die USA. Heu­te erin­nert der 2023 eröff­ne­te Brann­hof in Zürich an den eins­ti­gen Warenhausunternehmer.

Auch die Gebrü­der Loeb waren anfäng­lich an ver­schie­de­nen Stand­or­ten mit ihren Waren­häu­sern anzu­tref­fen, zum Bei­spiel in Basel an der Eisen­gas­se. Bedeut­sam wur­de spä­ter aber das Waren­haus Loeb in Bern, das bis heu­te ein Fami­li­en­un­ter­neh­men geblie­ben ist und bereits in fünf­ter Gene­ra­ti­on erfolg­reich fort­ge­führt wird.

Beson­ders inno­va­tiv waren die Brü­der Maus und Léon Nord­mann. Maus waren zunächst im Eng­ros­han­del tätig und betei­lig­ten sich an Waren­haus­grün­dun­gen von Nord­mann. Als Gros­sis­ten för­der­ten sie die Idee des Waren­hau­ses bei ihren Kun­den und tru­gen so zur Ent­ste­hung von Waren­häu­sern auch in klei­ne­ren Städ­ten oder Ort­schaf­ten in der Schweiz bei. Die Waren­häu­ser hat­ten ursprüng­lich ver­schie­de­ne Namen (z.B. Au Lou­vre, Zur Stadt Paris), wur­den aber ab den spä­ten 1970er-Jah­ren auf Nord­mann, Rhein­brü­cke, Vil­an, Pla­cet­te und Gale­ries ver­ein­heit­licht. Ab Sep­tem­ber 1994 tru­gen die Deutsch­schwei­zer Waren­häu­ser und ab Sep­tem­ber 2000 die West­schwei­zer und Tes­si­ner den Namen Man­or, in Anleh­nung an die Grün­der­fa­mi­li­en. Man­or ist heu­te die gröss­te Waren­haus­ket­te der Schweiz.

BH: Die Waren­häu­ser war­ben mit Zeich­nun­gen und Fotos. Was waren belieb­te Leitmotive?

AB: Ein zen­tra­les Nar­ra­tiv der Wer­be­pla­ka­te war die Ver­füh­rung des Kun­den, dar­ge­stellt durch ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en wie etwa Men­schen­mas­sen vor dem Waren­haus oder Frau­en in sai­so­na­ler modi­scher Klei­dung. Aber auch Objek­te wie etwa Kin­der­spiel­zeug wur­den künst­le­risch insze­niert. Oft­mals trans­por­tier­ten die­se Pla­ka­te eine gewis­se Stim­mung, die dar­auf abziel­te, die Begehr­lich­kei­ten der Ver­brau­cher anzu­spre­chen und das Gefühl zu ver­mit­teln, dass ein Ein­kauf im Waren­haus unver­zicht­bar sei, um etwas Beson­de­res zu haben oder sich bes­ser zu füh­len. Aber auch mit Slo­gans wur­de um die Kun­den gebuhlt. Vor allem in den Kri­sen­jah­ren waren Schlag­wör­ter wie «bil­lig», «spa­ren» oder «Aus­ver­kauf» beson­ders prä­sent. Die Pla­ka­te spie­gel­ten auch den Zeit­geist und die künst­le­ri­schen Strö­mun­gen wider. Beson­ders beein­dru­cken mich per­sön­lich die Pla­ka­te aus dem Fin de Siè­cle. Ein Bei­spiel ist das Pla­kat von Charles Lou­pot aus dem Jahr 1915 für die Gebrü­der Loeb in Bern, das eine Frau in einem weis­sen Kleid mit zwei Engeln zeigt – ein Zusam­men­spiel von Unschuld und Verführung.

BH: Lie­be Ange­la, vie­len Dank für das Gespräch!

verfasst am 08.07.2024