«Herzl ist in Israel nach wie vor eine absolute Ikone.»
Vier Fragen an Alfred Bodenheimer
Im Sommer 2022 erhielt das Jüdische Museum der Schweiz drei Strassenschilder aus Tel Aviv, die an den Ersten Zionistenkongress 1897 in Basel erinnern. Bis heute sind in ganz Israel neben Strassen auch Haltestellen, Plätze und Berge nach Theodor Herzl und dem Basler Kongress benannt, weshalb die Schweiz einen prominenten Platz in der israelischen Erinnerungskultur einnimmt. Barbara Häne sprach darüber mit Alfred Bodenheimer vom Zentrum für Jüdische Studien in Basel.
Barbara Häne: In Israel wird durch Strassenschilder, Namen von Gebäuden etc. an Theodor Herzl, den Ersten Zionistenkongress und Basel erinnert. Welche Rolle spielt Theodor Herzl Deiner Ansicht nach heute noch im Bewusstsein der Israeli?
Alfred Bodenheimer: Herzl ist in Israel nach wie vor eine absolute Ikone. Mehr noch vielleicht als der Staatsgründer David Ben Gurion, denn dieser war natürlich bereits in das Parteiengezänk des entstandenen Staates verwickelt, führte Kriege und traf dabei vielleicht auch Entscheidungen, die heute kritisch gesehen werden. Herzl hingegen steht gewissermassen über allem als Visionär –natürlich auch deshalb, weil sich heute an die Streitigkeiten in den ersten Jahren des Zionismus niemand mehr erinnert und weil er so jung starb, dass die Gründung der Zionistischen Organisation seine zentrale Tat blieb. Wer weiss, womit Herzl noch assoziiert worden wäre, wenn er noch dreissig oder vierzig Jahre gelebt hätte? So aber beziehen sich interessanterweise auch ganz entgegengesetzte Exponenten der israelischen Politik bis heute auf ihn. Linksliberale Denkerinnen und Denker beziehen sich auf das, was sie als freiheitlichen, dem Universalismus zugeneigten Entwurf eines Judenstaates bei ihm sehen. Gleichzeitig gibt es die Bewegung «Im Tirzu» (dt. «Wenn ihr wollt»), die sich auf den in Israel allen geläufigen vielleicht berühmtesten Satz Herzls beziehen, das Motto von «Altneuland»: «Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.» Diese Bewegung, deren Logo Herzls Profil ziert, ist weit im rechten Spektrum angesiedelt und versucht an israelischen Universitäten gegen aus ihrer Sicht antizionistische Aktivitäten vorzugehen.
BH: Wirst Du in Israel manchmal auf Deine Basler Herkunft angesprochen?
AB: Die Israelis interessiert meist mehr, ob sie aus der Stadt, aus der man kommt, irgendjemanden kennen (was erstaunlich oft der Fall ist). In einzelnen Fällen erzählen Leute vielleicht, dass sie dort waren und auch das Stadtkasino sahen, aber das ist wirklich die Ausnahme.
BH: In unserer Sammlung ist eine Ausgabe der Schweizer Illustrierten Zeitung aus dem Jahr 1918, die Herrn Dr. Bodenheimer porträtiert, wie er in Palästina Bäume pflanzt (JMS 2011, S. 236). Bist Du mit dieser Bodenheimer-Linie verwandt und wie war die Einstellung Deiner Familie gegenüber der zionistischen Bewegung?
AB: Der Anwalt Max Bodenheimer (1865–1940) war einer der engsten Weggenossen Herzls, und seine zentralen Verdienste in der Zionistischen Bewegung waren die Mitwirkung bei deren Statuten sowie denjenigen des Jüdischen Nationalfonds (KKL), dessen deutsche Abteilung er auch für lange Zeit leitete. Er war aus Stuttgart gebürtig und lebte später in Köln, bevor er 1935 nach Palästina auswanderte, wo er starb. Meine Familie stammt aus dem Hessischen, und ich habe bislang keine Verbindung zu Max Bodenheimer darin gefunden. Mit Max Bodenheimer verbindet mich aber eine hübsche Erinnerung aus den Neunziger Jahren. Ich machte damals in Israel die Erfahrung, dass viele Israelis (wie übrigens auch ziemlich viele Schweizer) sich diesen Namen nicht auf Anhieb merken können, und so wurde immer mehrfach nachgefragt, wenn ich mich vorstellte. Einmal kam ich in die Central Zionist Archives in Jerusalem und meldete mich ohne grosse Illusionen bei der Rezeption an. Doch statt rückzufragen begrüsste mich die Dame dort begeistert, und sogleich musste ich mir ihr ins Untergeschoss gehen, wo ein oder zwei Räume mit dem Mobiliar der einstigen Arbeitszimmer von Max Bodenheimer ausgestattet waren, die seine Tochter dem Archiv vermacht hatte.
Meine Grosseltern väterlicherseits waren tatsächlich der religiös-zionistischen Bewegung Misrachi sehr verbunden. Mein Vater erinnerte sich noch, dass, als er ein Kind war, bei einem der Basler Zionistenkongresse (es muss der 17. von 1931 gewesen sein) verschiedene prominente Vertreter der Bewegung bei meinen Grosseltern zu Mahlzeiten eingeladen waren, wie der spätere erste Staatspräsident Israels Chaim Weizmann, der spätere Premierminister Moshe Sharett und der langjährige Minister Josef Burg. Diesen habe ich, als er schon recht betagt war, in den Neunziger Jahren selbst kennengelernt, und tatsächlich erinnerte er sich immer noch an die genaue Adresse meiner Grosseltern in Basel.
BH: Das ikonische Bild von Theodor Herzl auf dem Balkon des Hotels Drei Könige in Basel wurde immer wieder in verschiedenen Kontexten nachbearbeitet. Welche Reproduktion fandest Du besonders kurios?
AB: Vor einiger Zeit erschien auf der israelischen Newsseite Mako ein langer Artikel mit Touristentipps für Basel. Dort wurde das Herzl-Bild so manipuliert, dass man Herzl dauernd einen Arm heben und senken sieht — man weiss nicht genau, ob er winkt oder sich vor Ärger an den Kopf schlägt… https://www.mako.co.il/travel-world/destinations/Article-e50977e9d50a961006.htm. Zudem wird einem die durchschlagende Wirkung der Pose Herzls auf diesem Bild erst vollends klar, wenn man weiss, dass es noch ein anderes Bild von Herzl gibt, das wohl bei derselben Fotosession entstanden ist, wo er mit verschränkten Armen auf demselben Balkon sitzt. Dieses ziemlich konventionelle Bild ist kaum bekannt geworden und hätte niemals das Potential zu diesem durchschlagenden Erfolg gehabt.
verfasst am 15.08.2022
JMS 2048 1-3, Strassenschilder, Israel.
JMS 1904- 10, Tel-Aviv / Strassenschild / Gemüseladen / Herzl-Strasse, Foto: Anais Steiner
JMS 1904- 21, Herzliya / Herzl-Schule, Foto: Anais Steiner
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